Knapp vor “durchgefallen“: Doris Dörrie und Simone Young präsentieren in der Staatsoper ihre postfeministische Sicht auf Mozarts “Don Giovanni“.
Hamburg. Es braut sich was zusammen am Videohimmel hinter der Bühne: erst grau, dann rot, dann schwarz, dann tot. Immerzu treiben die Wolken von links nach rechts, düster geht der Wind. Das himmlische Memento mori findet eine zarte Entsprechung in Menschengestalt: ein Knochenwesen in eng anliegender, prächtig schimmernder Paillettenrobe und unter einer sehr ausladenden roten Hutkreation à la Pferderennen in Iffezheim tanzt in kleinen, sonderbar entrückten Schritten in mehreren Anläufen peu à peu auf den todgeweihten Helden Don Giovanni zu.
La Morte, Frau Tod, getanzt von Tadashi Endo, verkörpert in Doris Dörries Inszenierung von Mozarts Oper "Don Giovanni" , die am Sonntag ihre Premiere erlebte, die ultimative Verführerin des gewissenlosen Verführers. Fürsorglich besteigt sie am Ende, bei Don Giovannis finaler Abfahrt in den Orkus, den auf dem Rücken liegenden mörderischen Schwerenöter. Der rächende Komtur singt nur aus dem Off, ins Bild tritt allein Frau Tod. Schöner kann ein Homme à Femmes nicht sterben.
Es braut sich was zusammen im Parkett und auf den Rängen. Düster streichen die Buhrufe Richtung Bühne. Zu Beginn des zweiten Akts empfängt ein regelrechter Buh-Chor die Generalmusikdirektorin und musikalische Leiterin Simone Young. Die personell verschlankten, bei den Bläsern mit historischen Instrumenten und bei den Streichern mit Holzdämpfern ausgestatteten Philharmoniker musizierten im ersten Akt ja auch spröde. Hat man sich im zweiten nur an das Klangbild gewöhnt, oder spielen sie jetzt wirklich etwas freier? Nun werden auch einzelne Arien bejubelt. Nur Wolfgang Koch, er singt und spielt die Titelpartie mit der ungeduldigen Virilität eines Mannes, der seine Zeit verrinnen sieht, wird nach seinem tadellos vorgetragenen Ständchen "Deh vieni alla finestra" mit einem Buhruf aus dem Dunkel des Saals gestraft.
+++ "Don Giovanni", mehr tot als lebendig +++
Bei aller Vorsicht - die Premiere entscheidet nicht über den Erfolg einer Inszenierung: Dörries postfeministische Lesart von Mozarts Oper "Don Giovanni" fiel beim Publikum durch. So kurz und enden wollend war jedenfalls noch selten ein Applaus nach der ersten Premiere einer neuen Spielzeit an der Hamburgischen Staatsoper. Insbesondere die Regisseurin musste Nervenstärke beweisen, als das Ensemble sie zum Schlussbeifall auf die Bühne holte.
Don Giovanni, aus männlicher Perspektive gern als Freigeist verherrlicht, zeichnet Dörrie als hohlen, sexsüchtigen, rastlosen Weibermaniac, der sich für die Frauen vor und nach Gebrauch null interessiert. Ihre Regie schickt ihn durch drei Zeitebenen: Mozarts Rokoko, wo er Donna Anna und ihrem Freund Don Ottavio das Leben schwer macht, das ausgehende 19. Jahrhundert, in dem er mit Donna Elvira sein Spiel treibt, sowie die Gegenwart, in der ihn Zerlina und Masetto empfangen. Don Giovanni bleibt sich dabei immer treu. Soll wohl heißen: Schufte wie er kennen kein Verfallsdatum. Immerhin geht sein Diener Leporello (Wilhelm Schwinghammer) kleidungsmäßig und in seiner Haartracht mit der Zeit.
Dörrie, auch im Opernhaus ganz Filmregisseurin, holt sich außer den Wolken auch die Zeitebenen über stehende Videobilder auf die Bühne, wobei im Kronleuchter die Kerzen schimmern und in der Ikea-Schrankwand von Zerlina und Masetto auf dem Flachbildschirm die Aufzeichnung eines Wrestling-Kampfs tobt. Im Bett liegend gefilmt, träumen Donna Anna, Donna Elvira und Zerlina in Großaufnahme von der Leinwand, während sie ihre ersten Arien singen. Doch wovon? Von einem Mann, der sie wirklich liebt? Leporellos Arie "Madama, il catalogo e questo" wird mit einem Koitus in flackernden Schwarz-Weiß-Bildern illustriert. Sie möge Film in der Oper nicht, sagt Frau Dörrie. Weshalb macht sie dann davon so inflationär Gebrauch?
Zu Donna Anna (Elza van den Heever), der verführten Komturstochter, und ihrem vorzugsweise einen Pekinesen im Arm haltenden, rosaperückten Galan Don Ottavio (Dovlet Nurgeldiyev), fiel Dörrie an psychologischer Feinzeichnung wenig ein. Das Bauernmädchen Zerlina (Maria Markina) und ihren Masetto (Jongmin Park) lötet sie zum ganzkörpertätowierten Pärchen mit Rockerfreundeskreis um. Noch dazu dichtet sie den beiden ein Baby an, das die ganze Aufführung über so leblos bleibt, wie man es als Bühnenpuppe nur sein kann. Wozu dann die Extravaganz? Und Donna Elvira, hochgeschlossen im schwarzen Kostüm, zeigt Dörrie als insgeheim züchtigungsgeile Dame. Wer töricht genug ist, Don Giovanni weiter zu lieben, kann also nur Masochistin sein.
Dass es im "Don Giovanni" auch um das Geschwisterpaar Eros und Thanatos geht, haben schon andere vor Doris Dörrie festgestellt. Sie aber saugt in ihrer Lesart, die sich im Bühnenbild (Bernd Lepel) von anfänglicher Kargheit bald zu greller Buntheit ausweitet, allen Honig aus der These, dass, wer ständig den kleinen Tod sucht, den großen will. Also Totenköpfe überall. Mal als Bodenleuchte aus den Augenhöhlen glühend, mal als gewaltiger Bühnenberg, zuletzt als vielfach vom beinernen Kronleuchter baumelndes Accessoire. Schön allerdings, wie selbst La Muerte einmal kurz den Verführungskünsten Don Giovannis zu erliegen droht und wie der Chor in Totenkostümen tanzt (Choreografie: Tadashi Endo).
Das Sängerensemble klingt homogen, doch bleibt im hohen Bühnenraum manchmal die stimmliche Prägnanz auf der Strecke. Die Terzette und Sextette klingen sauber, auch das berühmte Duett "La Ci Darem" ist ordentlich gesungen. Keine der Stimmen aber greift einem je ans Herz, das Hauptzielgebiet der Oper. Es bleibt die ganze Inszenierung lang betrüblich ungetroffen.
Weitere Vorstellungen: Mi 21.9., Sa 24.9., Di 27.9., Fr 30.9., jeweils 19.00. Kartentelefon 35 68 68