Eintracht Weiblich: Doris Dörrie und Simone Young knöpfen sich Don Giovanni vor, den schlimmsten Verführer der Operngeschichte.
Staatsoper. Eintracht Weiblich: Das wäre der Name, unter dem das Team Simone Young / Doris Dörrie auflaufen könnte, würden die Damen am Sonntag ihre Künste etwa bei einem Fußballspiel unter Beweis stellen und nicht in der Oper. So viel demonstrativen Gleichklang zwischen Regie und musikalischer Leitung im Falle einer neuen "Don Giovanni"-Inszenierung wie bei diesen beiden gestandenen Damen des Kulturbetriebs findet man selbst in der Oper, naturgemäß ein Hort der Harmonie, selten. Und dafür hat Doris Dörrie eine entwaffnend einfache Erklärung: "Weil wir Frauen sind, haben wir uns blitzschnell verstanden."
Die berühmte Filmregisseurin, Schriftstellerin und als Opernregisseurin noch nicht ganz so berühmte Doris Dörrie sitzt neben Hamburgs Generalmusikdirektorin Simone Young in der sogenannten Stifter-Lounge im vierten Stock der Hamburgischen Staatsoper in roten Fauteuils und beantwortet in einer gut halbstündigen Audienz der versammelten Presse ein paar Fragen zu ihrem Regiekonzept. Ihre mit sehr bunten Ringelsocken vor der herbstlichen Kühle geschützten Füße stecken in lila Wildlederschuhen. Am Revers ihres blauen Sakkos trägt Frau Dörrie eine große Sonnenblumenbrosche, um den Hals hat sie ein Tuch in flammenden Rot-Tönen gewickelt. Frau Young trägt schwarz. Vestimentär scheinen die beiden dann doch jede auf ihre Weise zu zeigen, wie Trauer aussieht; Frau Dörrie trägt sie in der Buntheit des mexikanischen Totenkults, Frau Young im dunklen Gewand des Abendlands.
Beide überbieten einander in Glücksbeteuerungen über die Zusammenarbeit, deren Anfänge schon viele Jahre zurückliegen. "Ich bin für Daniel Barenboim an der Staatsoper Berlin bei ein paar Aufführungen von 'Cosí fan tutte' eingesprungen, die Doris inszeniert hatte", erzählt Frau Young. "Und war begeistert von dem Humor, der Intelligenz und Liebe, mit der die Figuren und ihre Schwächen gezeichnet waren."
Übereinstimmung in der Einschätzung der Hauptfigur war denn auch der zündende Funke, der Youngs und Dörries Kooperationsfreude befeuerte. "Don Giovanni ist zugleich der blinde Fleck und das Zentrum der Oper", sagt Dörrie. Sie freut sich sehr, dass der Sänger der Rolle, Wolfgang Koch, altersmäßig genau zu ihrem Bild des fragwürdigen Helden passt, auch wenn Mozarts Librettist Lorenzo da Ponte den Don Giovanni als "äußerst zügellosen jungen Adligen" charakterisiert. Für Dörrie ist er "ein Mann von 45 Jahren. Er steht in der Mitte des Lebens und versucht der Endlichkeit seiner Zeit davonzulaufen, indem er möglichst viele Frauen an sich reißt. Wir kennen doch solche Typen. Viel zu geben hat so einer nicht."
+++ Doris Dörrie vor "Don Giovanni"-Premiere in Hamburg +++
Die drei Frauengestalten Donna Anna, Donna Elvira und Zerlina - zickig die eine, sympathisch die andere, oft als blondes Dummchen abserviert die dritte - sehen Young und Dörrie keinesfalls zu passiv, und ihr Schicksal verlegen sie mittels Filmprojektionen in zwei weiteren Zeitebenen: "Die Interieurs sind das Studierzimmer von Sigmund Freud in Wien und eine mit Ikea-Möbeln eingerichtete Wohnung von heute." Die Objekte von Don Giovannis flüchtiger Begierde sollen nicht als bloße Opfer des notorischen Verführers erscheinen, der seinen Diener mit der getreulichen Buchführung über all seine schändlichen Eroberungen beauftragt. Das über 1000 Namen umfassende Prahlhans-Brevier schaffte es unter dem Namen des Dieners als Fachbegriff aus dem Bereich der Druck-Erzeugnisse in den allgemeinen Sprachgebrauch: Informative Faltblätter heißen dieses Dieners wegen Leporello.
Als Kennerin der lateinamerikanischen Kultur ließ sich Doris Dörrie eine Volte einfallen, die gewagt erscheint, den Don Giovanni aber zumindest über Bande gespielt in die spanischen Ursprünge der Don-Juan-Figur heimführt. Sie macht aus dem Tod, der sich am Ende den gewissenlosen Aufreißer holt, eine Verführerin. "Ich habe mich lange in Mexiko rumgetrieben und mich intensiv mit der Santa Muerte beschäftigt, mit der heiligen Frau Tod", sagt Doris Dörrie. "In Mexiko ist der Tod kein Schnitter, er trägt die Züge einer Frau. Und wenn wir etwas auch können als Frauen, dann ist das: verführerisch sein." Don Giovannis Ende deutet sie als die ihn erlösende Heimkehr ins ewig Weibliche. Wie plausibel es ist, dass der japanische Butoh-Tänzer Tadashi Endo Frau Tod verkörpert, muss sich auf der Bühne beweisen.
Dass Mozart den Tod Don Giovannis musikalisch von Anfang vorbereitet, belegt Simone Young mit der "chromatischen Quart", die die Kontrabässe zu Beginn der Ouvertüre in Halbtonschritten abwärts vom D zum A durchmessen. "In der barocken Affektenlehre symbolisiert diese Art der Intervallbehandlung den Tod."
Don Giovanni Premiere So 18.9. 18.00, nächste Vorstel.: 21., 24., 27.9., Staatsoper (U Stephansplatz, U Gänsemarkt), Dammtorstr., Restkarten für So an der Ak.; www.hamburgische-staatsoper.de