Mimi Westernhagen zeigt in ihrem Solodebüt ihre verzaubernde und verstörende Innenwelt. Den Vater braucht die Musikerin dafür nicht.
Hamburg. Mimi hockt am Bordstein an der Bernstorffstraße. X-beinig und lässig. Wie junge Frauen eben so hocken, wenn sie auf den Abend warten und aus riesengroßen Augen in die Welt blicken. Sie könnte auch zu den Rucksacktouristen vom Hostel gegenüber gehören, wo ein dunkelhaariger Schlaks am geöffneten Fenster lautstark Trinkspiele vorführt. Doch die 25-Jährige nimmt im Gastraum "Gekreuzte Möhrchen" an einem langen Holztisch Platz.
Die Tafel hat sie mit dunkelblauen Servietten dekoriert, auf denen Raumfahrer schweben. Auch altes Spielzeug hat sie mitgebracht. Ein Affe tanzt mit Schellen in der Hand. Am Markantesten aber sind ihre Bilder, die an den Wänden lehnen. Es sind Selbstporträts eines Mädchens mit schmalen Wangen und schwarz geschminkten Wimpern. Dunkle Strahlenkränze. Gesäumt von Katzen und Eulen, von Gitarren, Bäumen und Mustern. Die Zeichnungen wirken wie illustrierte Gedanken eines Tagebuchs, in dem Träume ebenso aufgeschrieben werden wie Ängste.
Hier erschafft sich jemand seinen ganz persönlichen Kosmos. Mimi trägt zwar den Nachnamen ihres berühmten Vaters Marius Müller-Westernhagen. Doch sie hat ihre eigene Handschrift. Nichts an diesem Abend, an dem Mimi ihr Solodebütalbum "Road To Last Night" vorstellt, schreit nach einer "Ich bin die Tochter von ..."-Veranstaltung.
Sicher, der Stammbaum mag geholfen haben, dass da die globale Plattenfirma Warner zur Präsentation lädt und kein kleines Indie-Label. Dass mit Franz Plasa ein renommierter Produzent aus der Hansestadt Hand an die Songs legte. Und dass sich Mimis verwunschene Malerei als Artwork in aufwendig produzierten Promo-Mappen wiederfindet. Doch die Atmosphäre in der Mietküche in einem Haus zwischen Altona und St. Pauli ist entspannt bis familiär. Der schottische Koch schenkt seine Kressesuppe direkt aus dem Messbecher nach. Nachschlag beim Nachtisch wird auch nach deutlicher Verweigerung einfach auf den Teller gepackt. Und zwischen den Gängen spielt Mimi in einer Ecke einige ihrer Lieder zwischen Folkpop und Bluesrock. Ein Sound, dem anzuhören ist, dass Mimi privat lieber Tom Waits als Lady Gaga auflegt, lieber die Pixies als Take That.
Was als Erstes auffällt, ist ihre softe, rauchige Stimme. Mit viel Hall versehen, aber nicht zugekleistert, sondern eher so, als öffne sich ein Schmerz, eine Sehnsucht. "Easy" heißt die Eröffnungsnummer ihrer Platte. Und wie bei vielen guten Songs geht es natürlich nicht um das "Leichte", sondern um das Gegenteil. "See The Girl With The Broken Face", singt Mimi. Und dass sie sich selbst mitunter gebrochen fühlen mag, scheint glaubhaft, so wie sie da steht, blass und cool. Ein Twiggy-Typ. Die Frisur ist herausgewachsen, die beige bestrumpften Beine ragen aus einem Matrosenkleid. Alles sieht sehr secondhand aus, sehr individuell. An einer silbernen Kette baumelt allerlei Schnickschnack. Eine Miniaturuhr, eine winzige Pistole. Wie ein Setzkasten für den Hals. Ein eigener Kosmos.
Wer den Namen Mimi Westernhagen im Internet sucht, stößt rasch auf Treffer wie "Nackt im Playboy". Das war vor zwei Jahren. "Meinen Körper zu zeigen ist für mich etwas ganz Natürliches und Schönes", sagte sie damals. Nun gut, das Magazin verkauft sich nun mal nicht bloß wegen der Interviews. Aber die düster-verspielte Romantik, die Mimi ausstrahlt, scheint noch für eine ganz andere Zielgruppe geschaffen, die des weiblichen Teenagers. Nicht von ungefähr legte sie mit "Don't You Morn The Sun" ein impulsives Stück Rock für die Vampir-Saga "Twilight - Eclipse" vor. Und auch die zart gezupfte Ballade "Without Love" dürfte eher als Liebeskummer-Soundtrack durchgehen denn als vertonte Lolita-Fantasie. "Das Lied habe ich mit 15 geschrieben, es ist ein Ratschlag an mich selbst. Es handelt von einem Typen, der nichts Gutes brachte", sagt Mimi.
An diesem Abend ist sie in männlicher Begleitung. Ihre Bandkollegen sehen nicht nach eingekauften Studiomuckern aus, sondern angenehm räudig. Ein tätowierter Lockenkopf und ein rothaariger Kobold. Wie frisch importiert aus London, wo Mimi, die eigentlich Sarah heißt, aufwuchs. Gemeinsam mit ihrer Mutter Polly Eltes, Schauspielerin und Fotografin aus England und einstige Freundin von Marius Müller-Westernhagen. Neuerdings lebt Mimi auch in Hamburg. Weshalb sie beim Essen Vokabeln wie "Zwiebel" lernt. Doch der Gesang fließt auf Englisch besser. Mimi singt mit starkem, keineswegs verschüchtertem Timbre.
So, wie sie in die Saiten greift, ist ihr anzumerken, dass das Spiel ihr seit Langem vertraut ist. Mit sieben Jahren unterrichtete ein Freund der Mutter sie an der Gitarre. 2004 gründete sie mit drei Jungs die Glam-Punk-Band Battlekat und jobbte als Model. Die Musik, sie kommt ohne Kalkül. Das ist zu spüren bei dieser Zusammenkunft in dem Gastraum, selbst wenn diese professioneller Natur ist, für die Presse.
"Wenn man einer Sache richtig verfallen ist, denkt man nicht: Das ist ein super Businessplan", sagt sie. Und auch von ihrem Vater verbittet sie sich Hilfe: "Ich will meine eigenen Erfahrungen machen." Sich von ihm das Geschäft erklären zu lassen wäre so, als lese man bei einem Krimi zuerst die Auflösung, findet Mimi. Sie sei doch ein "passionate creature", ein eigenständiges leidenschaftliches Wesen, wie sie mit dem Song "The Fire" erklärt. Der Abend neigt sich dem Ende zu. Der Koch hat den Kaffee serviert, raucht, legt seinen Kopf in die Hand und lauscht einer Musik, die nicht neu ist. Aber eigen.
Live: 30.6., 20.30, Prinzenbar, Kastanienallee 20