Zum Dienstbeginn besuchte Kultursenatorin Kisseler Schauspielhaus, Gängeviertel und Altonaer Museum. Begleiten Sie sie im Video.
Hamburg. Übers Wasser gewandelt kommt sie nicht, Brot und Salz zur Begrüßung hat sie auch nicht dabei. Mit einem Aktenmäppchen, offenbar die Behördenvariante der Schultüte zum Festhalten für Erstklässler, schaut Barbara Kisseler wenige Stunden nach ihrem Dienstbeginn als Kultursenatorin im Gängeviertel vorbei und grüßt mit freundlicher Neugierde. Die erste von drei Premieren dieses Tages, das erste der vielen Zeichen, die in den nächsten Wochen erwartet werden. Die örtliche Nähe zur Kulturbehörde ist reiner Zufall, doch der Besuch ist natürlich auch Symbol. Ab heute ist alles erst mal symbolisch. Das geht so schnell nicht vorbei.
Die Künstlerin Christine Ebeling und der Stadtplaner René Gabriel, zwei Gängeviertler der Stammbesetzung, haben in der Jupi-Bar schon mal was für die Neu-Hamburgerin aus Berlin vorbereitet. Um die Vorgeschichte und den Verhandlungsstand über die Zukunft des historischen Quartiers anschaulicher zu machen, erhält Kisseler ein dekorativ gebundenes Exemplar des Nutzungskonzepts. Über dem Sofa erinnert eine Kuckucksuhr ironisch an bessere alte Zeiten. Die Stereoanlage säuselt freundlichen Bossa nova ins Ohr. Alles sehr gemütlich hier, und die Chemie zwischen Präses und den Instandsetzungskünstlern scheint sofort zu stimmen.
Sehen Sie hier den Rundgang der Kultursenatorin:
Kisseler ist blitzschnell und interessiert bei der Sache. "Wir werden den Prozess therapeutisch begleiten", sichert sie ihren Gesprächspartnern zu, als es um die anstehenden Weichenstellungen geht. Und hat damit den ersten von vielen Lachern sicher. Ihr Amt mag neu für sie sein, das Thema Gängeviertel ist es nicht. Sie war früher schon mal hier, sagt sie, inkognito gewissermaßen, als Debatte und Begeisterung eskalierten, nachdem der Hamburger Maler Daniel Richter die bundesweit beachtete Schirmherrschaft des Protests übernommen hatte. Diese Aufbruchstimmung gelte es zu erhalten, meint Kisseler, und dazu könne ihre Behörde sicher beitragen. "Es darf nicht passieren, dass ein Ort in der Stadt von Künstlern ,trockengewohnt' und dann der Verwertung übergeben wird." So ähnlich hatte sie das zwar schon bei ihrer Vorstellung durch Olaf Scholz vor einigen Wochen formuliert. Was die Haltung dahinter aber auch nicht falscher macht.
Bei einem Rundgang durch das Kutscherhaus und zur Fabrik wird die Rathaus-Instanz mit breitem Lächeln begrüßt, die meisten sehen nicht so aus, als ob ihnen klar ist, wer hier mit sehr offiziell aussehenden Mitarbeitern die Rauminstallationen betrachtet. Zum Abschied fasst Kisseler ihren Eindruck des Quartiers mit "widersprüchlich, bunt und im positiven Sinne zerrissen" zusammen. Rein in die Dienstlimousine, der nächste Schutzbefohlene wartet schon. Als Ex-Chefin der Berliner Senatskanzlei kennt Kisseler Termindruck, sieht dabei aber entspannter aus als ihre neuen Mitarbeiter.
Problembaustelle Nummer zwei (ihre größte, die Elbphilharmonie, hebt Kisseler sich wohlweislich für die Zukunft auf) steht an der Kirchenallee. Deutschlands größtes Sprechtheater, lange Zeit auch, was die Schlagzeilen mit besorgten Fragezeichen angeht. Viele davon haben sich mit der Berufung Karin Beiers zur Intendantin erledigt. Andere, drängende Fragen sind noch unbeantwortet.
Auf der Fahrt ins Büro des Interims-Intendanten Jack Kurfess steigt der Schauspieler Hermann Book in den Fahrstuhl und staunt nicht schlecht, wer dort neben ihm steht. Bei Kaffee und Keksen haben Kurfess und sein Co-Chef Florian Vogel zunächst mit leichtem Fremdeln zu kämpfen. Die Unterhaltung entkrampft sich jedoch beim Plaudern über den Spielplan: Die nächste Saison wird Dominique Horwitz mit "Cyrano" eröffnen, später soll "Fall der Götter" nach Visconti folgen, inszeniert von Stefan Kimmig. Ein Heimspiel für die studierte Theaterwissenschaftlerin Kisseler, die nicht nur weiß, wer Kimmig ist, sondern auch, dass er sich am Sensationserfolg von Johan Simons messen lassen muss.
"Die Strecke, die jetzt vor Ihnen liegt, sollte man in ihren Schwierigkeitsgraden nicht unterschätzen", kommentiert Kisseler Kurfess' und Vogels nähere Zukunft. Wenige Minuten später, auf der leeren Bühne wird ihr bewusst, wie groß das Haus ist. Passend zum Aufbruch hängen Kulissen für "Frühlingserwachen" im Hintergrund. Auf die Frage, welches Stück sie sich hier als erstes ansehen will, kommt von der Senatorin ohne den Hauch eines Zögerns, aber mit viel Schalk im Blick ein Kinderstück, "Ein Schaf fürs Leben". Selbstironie kann sie also auch. Vogel verabschiedet sie mit "die marode Bühnentechnik ersparen wir Ihnen" von der Bühne, er und Kurfess bringen Kisseler bis zum Foyer. Alltagsmiseren kommen noch früh genug.
Fast direkt neben dem Altonaer Bahnhof wird großer Bahnhof aufgefahren. Torkild Hinrichsen und etliche Mitarbeiter nehmen Kisseler in Empfang, zur Hoffnungsfeier des kulturpolitischen Kurswechsels, der mit dieser Senatorin verbunden ist, hat sich auch Kirsten Baumann, die Leiterin der Stiftung Historische Museen Hamburg, eingefunden. Symbolisches hat Hinrichsen drauf, das hat er im letzten, heißen Herbst bewiesen. Also werden zur Begrüßung Kisselers die Protest-Banner von der Fassade entfernt. Auch das "Flotte Deern in Sehnot"-Transparent unter dem "Altonia"-Gemälde kann nun dem gut gefüllten Widerstandsarchiv des Hauses zugeführt werden, erklärt Hinrichsen, aus reiner Gewohnheit noch mit "Wir sind das Altonaer Museum"-Button an der Freizeitweste über dem Karohemd.
Das hier ist Hinrichsens Gelegenheit, sich endlich wieder gut aufgehoben und ernst genommen zu fühlen. Die kollektive Sehnsucht nach kulturpolitischer Autorität ist fast mit Händen greifbar. Der Direktor marschiert mit viel Stolz, aber ohne Punkt und Komma, im ICE-Tempo durch die Etagen, die Museumskollegen im Kielwasser und den Kontrollblick auf der Armbanduhr. So viel zu berichten, von Umbauplänen, von neuen Konzepten. Baumann sekundiert Hinrichsen: "Es gibt viel Potenzial." Rein und raus in den Kinderolymp, rein und raus ins Kinderbuchhaus, rein und raus in die Vierländer Kate. So viel zu sehen, so wenig Zeit.
Auch hier ist Kisseler firm und stellt zielsicher Detailfragen wie die nach dem Farbkonzept der Wände und nach der Zusammenarbeit mit Schulen. Das letzte Symbolbild vor der Abfahrt Richtung Dienstschreibtisch: Kisseler wenige Schritte neben der "Altonia". Sie sagt, das Altonaer Museum "ist ein Haus, dem ich eine Zukunft zutraue". Hinrichsen strahlt auf voller Vollbart-Breite. Und Kisseler legt noch einen Wohlfühl-O-Ton nach. Gefragt, was sie anders machen will als ihr Amtsvorgänger Reinhard Stuth, kontert sie: "Ich werd jetzt sicher nicht sagen: alles. Aber ziemlich viel."