Darren Aronofskys Psychothriller “Black Swan“ ist für mehr als einen Oscar gut
Auch 2011 wird das Kino einmal mehr großflächig zur überraschungsfreien Zone: Fortsetzungen und Remakes, so weit das Auge blickt. Von "Piraten der Karibik 4" bis "Kung Fu Panda 2", von "Transformers 3" bis "Final Destination 5" - was in der Vergangenheit die Kassen gefüllt hat, soll risikoscheue Studios und Verleiher einmal mehr in die Gewinnzone führen. Manches, wie das angekündigte "Planet der Affen"-Prequel, klingt halbwegs interessant. Anderes, wie eine "Footloose"-Neuauflage oder der nächste "Keinohrhasen"-Nachschlag, lässt Schlimmstes erwarten. Aber dann gibt es eben doch immer wieder Lichtblicke. Filme, die sich nicht auf sicheren Story-Trampelpfaden bewegen oder in erster Linie gedreht wurden, um eine möglichst große Menge gerümpelhaftes Merchandise (von der Actionfigur bis zur Brotdose) abzusetzen. Ein solcher Film ist Darren Aronofskys "Black Swan", der als heißer Kandidat für mehr als einen Oscar gilt.
Wie so oft bei Aronofsky geht es auch hier um eine Form der Besessenheit. Driftete in "Pi" ein Wissenschaftler beim Versuch in den Wahnsinn, eine Zahl zu finden, die die ganze Welt erklären kann, musste im "Wrestler" der Comebackversuch eines gealterten Catchers mit dem Leben bezahlt werden. Und nun also eine Ballerina, gespielt von der zart-zerbrechlichen Natalie Portman, die ein Jahr lang täglich fünf Stunden trainierte, um das Gros der Ballettszenen selbst tanzen zu können. Als Nina hat sie ihr Leben dem Tanz gewidmet, beschützt und beherrscht von ihrer zwanghaften Mutter (Barbara Hershey). Jetzt gibt es die Chance, die neue Saison als Schwanenkönigin in Tschaikowskys "Schwanensee" zu eröffnen, doch der arrogante Choreograf (Vincent Cassel) am New Yorker Lincoln Center zweifelt, ob sie die Doppelrolle, den weißen und schwarzen Schwan, wirklich verkörpern kann. Sicher, Nina sei technisch perfekt, aber ist sie auch in der Lage, ihre dunkleren Anteile, ihre geheimen Sehnsüchte hervorzulocken? Und so provoziert er ein sexuelles Coming-out, das für Nina zu einer Reise in psychische Abgründe wird. Woran auch Konkurrentin Lily (Mila Kunis), ganz offensichtlich kein Kind von Traurigkeit, gehörigen Anteil hat.
Aufgekratzte, seltsam pulsierende Flecken am Rücken, Hautfetzen am Finger, ein gebrochener Zehennagel, eine Proberaum-Beleuchtung, die plötzlich erlischt: Auf dem Papier ist das alles nicht sonderlich unheimlich. So, wie Aronofsky es inszeniert, schon - auch Dank des brillanten Tonschnitts. Wohl noch nie wirkte das simple Schneiden eines Fingernagels so gewalttätig. Von David Cronenberg bis David Lynch, von Dario Argento bis Brian de Palma reichen die filmischen Vorbilder dieses Psychothrillers, und natürlich kommt einem auch der Ballettfilmklassiker "Die roten Schuhe" (1948) in den Sinn.
Doch Aronofsky, der erhebliche Probleme hatte, dieses Projekt zu finanzieren, kopiert nicht, er setzt neu zusammen, kreiert Bilder von soghafter Wirkung, sorgt für immer neue Momente der Verunsicherung. Was ist Fantasie, was geschieht wirklich - ein Vexierspiel, das sich bis in die Besetzung dieses Films fortsetzt. Etwa wenn Winona Ryder eine ausgemusterte Ballettdiva spielt - und ja auch im wirklichen (Hollywood-) Leben längst nicht mehr in der ersten Reihe steht.
Da können die Sequel- und Remake-Verwalter sich noch so mühen, an "Black Swan" kommen sie in diesem Kinojahr vermutlich nicht vorbei.
+++++ Black Swan USA 2010, 110 Min., ab 16 J., R: Darren Aronofsky, D: Natalie Portman, Mila Kunis, Vincent Cassel, Barbara Hershey, Winona Ryder, täglich im Abaton, Cinemaxx Dammtor/Harburg, Passage, UCI Mundsburg/Othmarschen-Park/Smart-City, Zeise; www.blackswan-derfilm.de