Eine CD-DVD-Box versammelt bislang unveröffentlichte Songs und Filme aus der produktivsten Phase des amerikanischen Rockmusikers.
Hamburg. Der amerikanische Rockmusiker Bruce Springsteen hatte sich Mitte der 70er-Jahre mit der LP "Born To Run" seinen Platz in den Geschichtsbüchern des Pop gesichert. Das Album machte Springsteen, den dürren 25-Jährigen aus Freehold, New Jersey, zur Rock-Ikone. Er war innerhalb einer Woche auf dem Cover von "Time" und "Newsweek". Und trotzdem stand Springsteen 1976 am Scheidepunkt seiner gerade in Gang gekommenen Karriere, er focht einen Streit über seine künstlerische Freiheit mit seinem ehemaligen Manager Mike Appel juristisch aus. "Darkness On The Edge Of Town", wie "Born To Run" ein Meisterwerk, war eine schwere Geburt; erst im Juni 1978 erblickte das vierte Album des heute 61-Jährigen das Licht der Welt.
Wie beschwerlich die Geburtswehen waren, davon zeugt die nun erschienene Box "The Promise: Darkness On The Edge Of Town Story", ein formschönes Set (es faksimiliert die Kladde, in der Springsteen damals seine Songtexte schrieb) mit drei CDs und drei DVDs. Die "Darkness"-CD liegt als digitaler Remaster vor, auf zwei DVDs sind Konzertmitschnitte. Das Herzstück sind allerdings die 21 bislang unveröffentlichten Songs aus den Aufnahmesessions zu "Darkness On The Edge Of Town", die ein "neues" Springsteen-Album ergeben: "The Promise". Der gleichnamige anderthalbstündige Dokumentationsfilm, der unlängst auf dem Filmfestival in Toronto Uraufführung hatte, ist für die, die die Popgeschichte gerne mit der Lupe betrachten, ein Dokument von großem Wert.
Alte Aufnahmen, natürlich schwarz-weiß, zeigen den als "Boss" bekannt gewordenen Bandleader mit seiner E-Street-Band beim Jammen im Privathaus und bei den Aufnahmen im Studio, nachdem der Streit mit Appel endlich ausgestanden war. Was am Ende dieser Arbeit herauskam, liegt immer noch dunkel leuchtend in der Vitrine der Pop-Geschichte: das karge, raue, die Arbeiterklasse, die Gesellschaft und Amerika beschreibende Album "Darkness On The Edge Of Town" mit seinen zehn Songs, die so ganz anders waren als die theatralischen, himmelstürmenden Aufbruchshymnen auf "Born To Run".
Zwischen 1975 und 1978 schrieb der "Boss" so viele Songs wie vorher und nachher nicht mehr, 70 sollen es gewesen sein. Wie sich das nachdenkliche "Darkness" aus dem riesigen Konvolut schälte, davon erzählt der Film.
Dass Springsteen in dieser Phase nicht nur sozialkritische und hungrige, emphatische und niedergedrückte Lieder schrieb (natürlich mit am Ende immer erhebenden Versen: "Mister, I ain't a boy, no, I'm a man/And I believe in a promised land"), konnte man bereits an Hits wie "Because the Night", den Springsteen Patti Smith schenkte, und "Fire" sehen, den er den Pointer Sisters überließ. Auf "The River" und der "Tracks"-Sammlung waren ebenfalls Songs aus den "Darkness"-Sessions.
Springsteen schrieb in der "Darkness"-Phase vor allem auch schmissige Popsongs, die durchaus von profanen Dingen wie Liebeständeln und guter Laune handeln, das beweist nun "The Promise". An einer Stelle im Dokumentarfilm sagt Springsteens Gitarrist Stevie van Zandt, dass sein Chef "einer der größten Popsongschreiber der Welt" hätte werden können. Wenn er denn gewollt hätte.
Immerhin hatte der Great American Storyteller Springsteen in den Achtzigerjahren seine Superstarmomente, als er mit "Born In The USA" zum amerikanischen Mythos wurde. Popmusik, sagt Springsteen, "handelt vom immerwährenden Jetzt".
Schöner kann man es nicht sagen, und schöner kann ein Werk nicht eine innere Struktur bekommen, wie wir sie nun im Gesamt-Oeuvre des Meisters aus New Jersey finden: "Darkness" ist ein Monolith für die Ewigkeit, es existiert über das Heute hinaus. Die Pop-Songs auf "The Promise" dagegen sind die helle Tagseite dieser Nacht am Rande der Stadt.
Bruce Springsteen The Promise: Darkness On The Edge Of Town Story (Doppel-CD oder CD-DVD-Box). Sony Music