Größenwahn ist garantiert, wenn Hyperstar Shah Rukh Khan Berlin beehrt. Seit Beginn der Dreharbeiten lauern die Autogrammjäger an Set und Hotel.
Berlin. "Das ist ganz Netter. Wirklich. Ein gaaanz Netter", sagt ein Journalist, während seine Kollegin noch schnell ihr Make-up im Taschenspiegel kontrolliert. Unterdessen findet draußen vor dem Friedrichstadtpalast, im Berliner Nieselregen, offenbar ein Wettbewerb statt, wer den sehnsüchtigsten Blick die Straße entlangwerfen kann. Ein Mädchen in Sportoutfit samt Fußball ist dabei, bekopftuchte Grazien und Mitvierzigerinnen mit roten Strähnen im Haar. Kamerateams filmen die rund 100 Fans, nun ja, beim Fan-Sein. Beim Warmhüpfen, nervösen Handytippen und Fotoapparat-Justieren. Wenn der indische Schauspieler und Hyperstar Shah Rukh Khan in der Hauptstadt ist, ist der Erregungspegel hoch. Nicht zuletzt, seit die Weltpremiere seines Films "My Name Is Khan" im Februar der Berlinale den wohl größten roten Teppich in der Geschichte des Festivals bescherte.
Wenn also jetzt eine 70-köpfige Crew vom Subkontinent anreist, um bis Ende November an der Spree einen Blockbuster für die indische Traumfabrik Bollywood zu drehen, ist das vor allem auch einer der größten cineastischen PR-Coups für Berlin. Mit rund 2000 Komparsen-Einsätzen und einem Fuhrpark, der 300 Meter misst, will das Team die Fortsetzung des Actionthrillers "Don" realisieren. Im Frühjahr 2012 soll er in deutsche Kinos kommen. Bei einem Produktionsbudget von zwölf Millionen Euro, bei dem satt die Hälfte für Berlin eingeplant ist, ist Aufmerksamkeit garantiert. Und Größenwahn.
Zur Pressekonferenz im alten Revuetheater zeigen Leinwände, die vom Boden bis unter die hohe Decke reichen, Bilder von Shah Rukh Khan (cool mit Sonnenbrille) und seiner Filmpartnerin Priyanka Chopra, deren Zuviel an Augen, Lippen und Schönheit fabelhaft passt in die superlative Welt des Hindi-Cinemas.
In der Wirklichkeit, als sie sich mit einer gepflegten Dreiviertelstunde Verspätung erst den Kameras, dann den Fragen stellen, sind diese überlebensgroßen Filmikonen wesentlich kleiner. Trotz der sehr hohen roten Highheels, auf denen Chopra ihr sehr kurzes Minikleid spazieren trägt. Der nur gut 1,70 Meter große Khan, elegant im schwarzen Anzug, wird lediglich von dem deutschen Darsteller Florian Lukas an Körperlänge unterboten. Als habe man extra einen Kollegen gecastet, der kleiner ist als Gott. Auf dem Podium sitzen neben dem ungleichen Trio sowie Vertretern der Berliner Film- und Tourismusbranche noch Regisseur und Schauspieler Farhan Akhtar, Produzent Ritesh Sidhwani sowie Boman Irani, mit 50 der älteste Akteur der ganzen Runde. Eine indische Prominenten-Phalanx, als würde Hollywood zum Treffen mit George Clooney, Julia Roberts, Johnny Depp und Bill Murray laden.
"Don zu fassen ist nicht schwer, es ist unmöglich." Immer und immer wieder spricht Shah Rukh Khan in seiner Rolle als Don diesen Satz. Diabolisch zuckt sein Mund, Gefahr lauert im Blick. Der "gaaanz nette" Herr Khan, der den meisten Deutschen dank RTL2 vor allem als gestisch überambitionierter Herzensbrecher bekannt ist, kann auch anders. Im ersten "Don"-Teil von 2006 mit dem Untertitel "Die Jagd beginnt", dem Remake eines 70er-Jahre-Klassikers, zeigte Akhtar den 44-Jährigen als brutalen, gerissenen Gangster, der aus jeder noch so vertrackten Situation zu entfliehen weiß.
In Berlin jedoch gibt es kein Entrinnen. Seit die insgesamt 50 Drehtage begonnen haben, lauern Autogrammjäger am Set und vorm Hotel. Die Zeiten, in denen indische Stars unbehelligt durch Europa flanieren konnten, sind vorbei. "Hier ist es sehr kalt, aber ich spüre die Wärme vieler deutscher Körper, da ich ständig umarmt werde", sagt Shah Rukh Khan. Sein Gesicht ein einziges Schmunzeln. Die Lacher auf seiner Seite. "Ein gaanz Netter" eben.
Vor zehn, 15 Jahren, führt Khan weiter aus, habe Bollywood fremde Länder, vor allem die Schweiz, eher als Sehnsuchtsorte inszeniert, um die Song-Sequenzen der Liebesfilme mit exotischer Kulisse zu untermalen. In letzter Zeit sei es aber Trend, mehr Realität in die Filme einfließen zu lassen. Er betont: "Berlin ist wie ein eigener Charakter des Films." Und Akhtar, als Regisseur, Schauspieler, Produzent und Autor ein junger Alleskönner Bollywoods, erläutert mit geschäftstüchtigem Ernst: "Berlin repräsentiert eine moderne Welt, birgt aber für das indische Publikum auch Geheimnisse."
Sätze wie diese dürften Kirsten Niehuus, die als Geschäftsführerin von Medienboard Berlin die Kooperation vorantrieb, Tränen der Freude in die Augen treiben. "Das ist eine echte Liebesgeschichte", sagt sie überschwänglich. Nun gut, auf jeden Fall handelt es sich um eine arrangierte Ehe, die mit einer hübschen Aussteuer garniert ist: Eine Million Euro steckt die Berliner Seite in die Produktion. Ebenso viel gibt der Deutsche Filmförderfond, der bereits Quentin Tarantinos "Inglorious Basterds" mitfinanzierte, noch einmal hinzu. Der Erlös für die Hauptstadt dürfte langfristig jedoch wesentlich höher sein - wenn formschöne Explosionen und Stunts vor Brandenburger Tor oder Olympiastadion weltweit zu sehen sind. "Inder lieben ihr Kino. Und ihre Psyche ist so angelegt, dass sie die Orte sehen wollen, wo ihre Stars zu Gast waren", erläutert Khan. "Ihr werdet noch Probleme haben, all die Inder wieder loszuwerden."
Auch Florian Lukas scheint langsam zu dämmern, dass er bald einem Milliardenpublikum bekannt sein dürfte. Konzentriert, mit gefalteten Händen, beobachtet der schmale Blonde die Szenerie. Seine Antworten kommen weniger durchprofessionalisiert daher, die latente Überforderung ist hörbar. "Action, Thriller, Liebe, Hass, Kampf - das ist beeindruckend, wenn man sich ,Don 1' anschaut", sagt der 37-Jährige haspelnd. Aber in einem Land, in dem täglich das Unvereinbare zusammenfließt, muss sich die Weltflucht nun einmal ein wenig aufwendiger gestalten. Wo Hollywood längst den Film beendet hätte, fügt "Don" Wendung um Wendung hinzu. Wie beim Jenga-Spiel, wo Stab auf Stab geschichtet wird, der Turm aber auf wundersame Weise nicht umkippt. Ein gigantomanisches Bauwerk ist es also, an dem Lukas da mitwirkt. Angst braucht der Berliner aber nicht zu haben. Schließlich spielt ja an seiner Seite "ein gaaanz Netter".