Literaturstar Jonathan Franzen las aus seinem Roman “Freiheit“ auf Kampnagel. Und das sogar auf Deutsch. Im Anschluss gab er geduldig Autogramme.
Hamburg. Vielleicht wurde Jonathan Franzen zum Schluss ein wenig müde, weil er wusste, was ihn nach der eigentlichen Veranstaltung erwartete. Schon zu Beginn, als er gerade auf der Bühne Platz genommen hatte, in Jeans und grauem Hemd, da hatte dieser über alle Maßen erfolgreiche Schriftsteller wieder einmal einen Eindruck davon bekommen, wie sich Ruhm anfühlt: Mehr als ein halbes Dutzend Fotografen drängelten sich um diesen intellektuell wirkenden Meister der Literatur.
Nach der Lesung also musste Mr. Franzen Bücher signieren, die Schlange der Verehrer reichte von Kampnagel bis ins Barmbeker Zentrum, gefühlt zumindest. Und man weiß nicht, ob er ausgefallene Widmungen schreiben musste, glaubt aber, er hätte es mit Freuden getan, und mit konzentrierter Miene. Denn Franzen, der Literaturstar, bestritt seinen Leseabend in Hamburg zu einem großen Teil auf Deutsch.
Was der Kulturveranstaltung "Lesung" dann doch einmal einen wirklich sinnfälligen Nutzen gab, denn wer hätte nicht eine irgendwie seltsame Freude daran, den weltberühmten Romancier aus der Übersetzung des eigenen Buchs lesen zu hören. Franzen und Deutschland, da gibt es eine Verbindung. Vor mehr als 30 Jahren studierte der junge Amerikaner eine Zeit lang in München und Berlin, und er gehört, auf gewisse Weise, ja auch zum hiesigen Literaturbetrieb seit seiner Berufung in die Akademie der Künste zu Berlin.
Wohl dem, der so ein prominentes Mitglied hat. Franzens Massenappeal ist bestechend, er verleiht dem Liebes- und Renommierobjekt "Buch" Glanz, und er bezirzt das versammelte Bildungsbürgertum auf deutschen Bühnen. Die sind ausverkauft dieser Tage, wenn der so charmante wie jungenhafte 51-Jährige seine Aufwartung macht. Für die Veranstaltung auf Kampnagel war innerhalb von 24 Stunden kein Ticket mehr zu haben, und wer qua Beruf über Verbindungen verfügt, der wurde in den vergangenen Tagen des Öfteren gefragt: "Haste noch ne Karte?"
Das hatten die wie gut auch immer Vernetzten freilich selten. Deshalb kam nicht jeder der Franzen-Jünger in den Genuss, den (durchaus nicht unangenehmen) Kontrollfreak in Augenschein zu nehmen. Wer aber ebenjenes Glück hatte, erlebte einen Showprofi, der mit der sympathisch enervierten Moderatorin, der Literaturwissenschaftlerin Gabriele von Arnim ("Gut, jetzt müssen Sie also zum 581. Mal Fragen zu Ihrem Roman beantworten") ein deutsch-englisches Interview hinlegte, das komische Züge genau dann hatte, wenn der ehrgeizige Sprachmensch Franzen zwar wunderbare gedruckte und druckreife Sätze von sich gab, aber manche Klippen des Deutschen dann doch nicht umschiffen konnte: "Berührung" zum Beispiel, ein "R" (ein stimmhafter uvularer Frikativ) und danach gleich ein Umlaut, zum Schütteln.
Es hatte etwas Voyeuristisches, den Schriftsteller dabei zu beobachten, wie er sich in die deutsche Sprache hineinarbeitete. Franzen las den literarisch stärksten Teil seines Romans "Freiheit", in dem die Figur Patty Berglund um ihre Ehre kämpft und an der Amoralität ihrer Eltern scheitert.
Die Mutter, Joyce, ist eine aufrechte Demokratin, deren Schuhwerk sich von dem weiblichen Teil der Hamburger Leser (phänotypisch leicht erkennbar: die Buchhändlerin mit Strickweste und Rock) ganz und gar unterschied: Diese trägt geschlossene Stiefel, Joyce hingegen Pumps. Was Franzen zum allgemeinen Amüsement "Pümps" ausspricht und nicht "Pömps". Mit gespieltem Erstaunen blickte Franzen da ins Publikum, dabei hatte er den Fehler, wie er selbst zugab, auch schon vorher gemacht. Man muss berühmt sein, wenn ein Saal so freundlich über einen Fehler lacht. Was man überdies erfuhr: Dass Franzen beim Schreiben jeden Dialog mitspricht, ja: mitschreit. Dass er sich vom Tod des Freundes David Foster Wallace herausgefordert fühlte, ein großes Buch zu schreiben. Sieht so aus, als sei ihm das gelungen.