Sucht eine musikalische Sprache: Heute erscheint “Grinderman 2“ , ein Nischenprojekt des düsteren Musikers und Sängers Nick Cave.
London. Ein lautes Bluesriff ertönt. Es dröhnt aus Nick Caves iPhone. Kurzer Blick aufs Display, hochgezogene Augenbrauen, "meine Exfrau", sagt er und stellt das Telefon leicht genervt auf lautlos. Der Klingelton passt zum Gespräch, denn Cave und Warren Ellis lassen sich gerade über die Bedeutung des Blues für ihre Band Grinderman aus. Störungen sind da nicht erwünscht.
"Vielleicht ist Grinderman eine Bluesband des 21. Jahrhunderts. Mit einem modernen Sound, der aber deutlich macht, wo er seine Wurzeln hat", sagt Cave. "Wir wollen keine Bluesband sein", wirft ihm Ellis entgegen. "Aber wir könnten. Was wir tun, ist die Suche nach einer musikalischen Sprache ", entgegnet Cave.
Einen Tag, bevor sich die Band in den Übungsraum zurückzieht, um die kommende Tournee vorzubereiten, geben Cave und Ellis beide letzte Interviews vor dem heutigen Erscheinen des neuen Albums "Grinderman 2". Ort ist ein verspiegelter Raum im "Union", einem etwas runtergekommenen Mitgliederklub mitten im Londoner Stadtviertel Soho. Ein nobles First-Class-Hotel hat die Plattenfirma nicht spendiert , auch ein Künstler wie Nick Cave verkauft lange nicht mehr so viele Alben wie noch vor zehn Jahren, zumal, wenn es sich um ein Nischenprojekt wie Grinderman handelt.
Vor drei Jahren hat Nick Cave es zusammen mit dem Multiinstrumentalisten Warren Ellis , dem Bassisten Martin Casey und dem Schlagzeuger Jim Sclavunos ins Leben gerufen. Ellis und Sclavunos gehören auch zu Nick Caves Bad Seeds, dem "Mutterschiff", wie er selber sagt. Aber Grinderman funktioniert anders als die Bad Seeds, deren Aufgabe es ist, die Kompositionen des 52 Jahre alten australischen Sängers best möglich musikalisch zu präsentieren. "Wir verabreden einen Termin, gehen fünf Tage ins Studio und improvisieren. Texte und Musik. Dann hören wir uns an, was dabei herausgekommen ist, und bauen daraus Songs", erklärt Cave die Methode. Obwohl das Konzept des Quartetts sehr frei ist, gibt es doch zwei Einschränkungen: Cave darf keine Texte mit biblischen Referenzen schreiben und Ellis muss seine Violine im Geigenkasten lassen. Meistens jedenfalls.
Neun neue Songs sind bei den Aufnahmen entstanden. Nummern mit brachialem Bluesrock, lauten Gitarren, Wah-Wah-Effekten, Rückkoppelungen, die in den Gehörgängen schmerzen, dumpfen Bassläufen und einem polternden Schlagzeug.
Balladen und romantische Songs wie bei den Bad Seeds gibt es bei Grinderman nicht. Es scheint, als nutzten die vier Musiker diese Band, um richtig Krach zu machen und in die Extreme zu gehen. Manchmal denkt man angesichts des Lärms an Nick Caves erste Band Birthday Party, doch diesen Vergleich weist der schlanke, ganz in Schwarz gekleidete Sänger weit von sich. "Um Birthday Party zu kopieren, müsste man schon sehr viel Drogen nehmen." Was Cave die Hälfte seiner nun 30 Jahre dauernden Musikerkarriere getan hat. "Das waren damals junge Typen, die hatten eine völlig andere Energie. Wir haben bei Grinderman völlige Kontrolle über das, was wir tun", erläutert Warren Ellis und fängt sich einen Seitenhieb seines Kompagnons Cave ein: "Hey, Warren, was ist denn mit dir los? Hast du gerade gekokst? Du hast ja den ganzen Tag noch nichts gesagt und jetzt redest du wie ein Wasserfall."
Ellis, der mit seinem langen Bart und seinen langen dunklen Haaren aussieht wie eine Kreuzung aus Spät-Hippie und Rasputin, zuckt nur mit den Achseln. Er ist der ruhige Part dieses Duos, das seit 15 Jahren zusammen musiziert. Nicht nur bei den Bad Seeds und bei Grinderman, sondern auch bei der Komposition von einem Dutzend Filmsoundtracks und von Theatermusik arbeiten die beiden gebürtigen Australier eng zusammen. Unter anderem haben sie die Scores für "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" und für "The Road" nach dem post-apokalyptischen Roman von Cormac McCarthy geschrieben.
Die beiden sind Experten für den Weltuntergang, doch während Grinderman nach Inferno klingt, fließt die Musik zu "The Road" so ruhig dahin wie ein breiter Strom. "Wir sind schon infiziert von der Idee des Untergangs, weil wir dauernd darüber reden", sinniert Cave. Er hat seine eigene Theorie des Endes der Menschheit: "Irgendwann haben die Menschen keine Lust mehr zu leben, weil alles so schwierig ist, und sterben aus. Oder ein Meteorit besorgt das." So nachdenklich und artifiziell Caves Kunst oft ist, seine Gedankengänge und die seines Freundes Ellis nehmen manchmal einen unerwarteten Verlauf. Das Wort Meteorit führt über Dinosaurier (Cave: "Traurig ohne Dinosaurier. Die Welt ist ärmer ohne sie.") zu gestrandeten Walen, brennenden Zelten und den Rolling Stones, den Dinosauriern der Rockmusik. Solche komischen Exkurse wechseln mit durchaus tiefsinnigen Betrachtungen über die eigene Kunst.
Die Texte, die Nick Cave für Grinderman ersinnt, werden von Figuren bevölkert, die aus der Mythologie, der Geschichte, dem Comic stammen oder von ihm selbst erdacht sind wie der Unterleibsschneemann, das Heidenmädchen oder der Wolfsmann. Sie entspringen seinem Unterbewusstsein und wirken oft so krude, weil sie nicht überprüft werden. "Man kann nicht immer fragen: Ist das wirklich geschmackvoll? Gefällt das meiner Frau? Oder meiner Mutter?" Gegenseitiges Vertrauen sei eine wichtige Basis für die Arbeit mit Grinderman sagt Nick Cave.
Spaß offensichtlich auch. Für das Video zu "Heathen Girl" durfte die Band in verschiedene Kostüme schlüpfen, um den Traum des in der Badewanne sitzenden Heidenmädchens visuell zu verdeutlichen: als römische Krieger und Affenmenschen, als maskierte Serienmörder oder als indische Gottheiten, die mit lustigen Diademen auf dem Kopf an der Wanne Flöte spielen. Dieses Video, von "The Road"-Regisseur John Hillcott gedreht, zeigt die oft abstrakten und meist schwer verständlichen Bilderwelten aus Nick Caves Kopf. "Aber man muss nicht unbedingt nach der Bedeutung suchen. Man kann das auch einfach als coolen Rock 'n' Roll nehmen."