Seit seine Mohammed-Karikaturen erschienen, lebt Westergaard unter Polizeischutz. Nun erhielt der Däne den Medienpreis M100.
Potsdam. Der Name verspricht Sorgenfreiheit. Doch an diesem Abend passt er nicht. Im Potsdamer Schloss Sanssouci (französisch: ohne Sorge) wurde am Mittwoch der dänische Mohammed-Karikaturist Kurt Westergaard geehrt, der wegen seiner Zeichnungen seit fünf Jahren unter Polizeischutz leben muss. Für seine Unbeugsamkeit erhielt der 75-Jährige am Abend in der brandenburgischen Landeshauptstadt einen Medienpreis – und wurde von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem früheren rot-grünen Präsidentenkandidaten Joachim Gauck für seinen Mut geehrt.
Nach Ansicht des Berliner Islam-Wissenschaftlers Sebastian Elsässer könnte diese Begegnung unkalkulierbare Folgen haben. „Es könnte bei Muslimen Unmut auslösen, wenn dieser Auftritt als öffentliche Unterstützung für islamfeindliche Äußerungen gewertet wird.“
Ein Aspekt, den auch Merkel im Blick hatte. Sie machte deutlich, mit welchen Abwägungsprozessen es eine deutsche Kanzlerin zu tun hat:Soll sie den Dalai Lama treffen? Soll sie Hauptrednerin bei einer Veranstaltung sein, die einen Karikaturisten wie Westergaard auszeichnet? Soll sie Berichte von Reporter ohne Grenzen zur Presse- und Meinungsfreiheit ernst nehmen? Sie habe alle drei Fragen mit einem Ja beantwortet, sagte Merkel. „Deutsche Politik vertritt ihre Interessen wertegebunden - nach innen wie außen.“
Für sie sei die Freiheit auch fast 21 Jahre nach dem Mauerfall immer noch das Größte. „Es gibt nichts, das mich mehr begeistert“, sagte die Kanzlerin. Merkel plädierte für die Meinungsfreiheit – für sie „eins der Wesensmerkmale einer freiheitlichen Demokratie“. „Die Folgen für den Zeichner sollten uns mahnen“, sagte die Kanzlerin. Die Meinungsfreiheit sei kein selbstverständliches Gut. „Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut“, sagte Merkel.
Laudator Joachim Gauck dankte ihr für diese klaren Worte. Und er dankte Westergaard für seinen Mut, sich nicht von den Todesdrohungen einschüchtern zu lassen. „Jeder sollte sich fragen, ob wir den Mut immer ausrichten für die Freiheit“, sagte der langjährige Beauftragte für die Stasi-Unterlagen.
Westergaard weiß nur zu gut, wie es ist, wenn man seine Freiheit verliert. Die Veröffentlichung seiner Karikatur sowie der von Kollegen im September 2005 in der dänischen Tageszeitung „Jyllands- Posten“ löste in der islamischen Welt heftigen Protest aus. Es kam zu Drohungen und Gewalt, Dutzende Menschen starben. Dänemark schloss wegen der gewalttätigen Proteste einige seiner Botschaften. Auch gegen Einrichtungen anderer europäischer Staaten gab es Gewaltakte.
Auf Westergaard und Kollegen ist seitdem ein Kopfgeld von insgesamt elf Millionen Dollar ausgesetzt. Der frühere Lehrer kann nie ohne Schatten gehen; der dänische Polizeigeheimdienst PET ist stets an seiner Seite. Wenn US-Präsident Barack Obama auf Staatsbesuch kommen sollte, könne er am besten in seinem Haus wohnen, witzelt Westergaard. Anfang des Jahres entging er nur knapp einem Mordanschlag: Als er ausnahmsweise in seinem Haus war, bedrohte ihn ein Mann, der Verbindungen zum Terrornetz al-Qaida haben soll, mit einer Axt.
Westergaard lässt sich jedoch nicht beirren. Rote Hose, Panama-Hut, grünes Einstecktuch – er versteckt sich nicht. Im November sollen seine Memoiren erscheinen – mit der umstrittenen Mohammed-Zeichnung auf dem Buchdeckel. Mutig sei er nicht, sagt er, aber zu starrköpfig, um sich zu beugen. „Ich habe eine unglaubliche Wut“, sagte er. Die Journalistenvereinigung M100 hält ihn, so die Begründung der Auszeichnung, für ein „Symbol der Presse- und Meinungsfreiheit“. Wegen des Sicherheitsrisikos wurden am Mittwoch Polizisten aus ganz Brandenburg nach Potsdam gezogen. Auch das Landeskriminalamt schaltete sich ein. Schloss Sanssouci glich einer Festung. Hunde wurden vor der Preisverleihung durch die Räume geschickt, Scharfschützen lagen auf den Dächern.
Die Gefahr ist nach wie vor nicht gebannt. Dies zeigt auch der Fall des ebenfalls durch eine Mohammed-Zeichnung bekannt gewordenen Schweden Lars Vilks. Er wurde im vergangenen Mai zweimal innerhalb einer Woche angegriffen. Der 64-Jährige hatte 2007 eine Zeichnung des Propheten Mohammed als Hund veröffentlicht. Ereignisse, die nach Ansicht der Berliner Soziologin Necla Kelek in der deutschen Öffentlichkeit zu wenig registriert werden. Die türkischstämmige Autorin meint, dass sich gegenüber dem Islam eine „Duck and cover“-Mentalität ausbreite, ein „Duckmäusertum“.