Wilfried Weber, Inhaber der Buchhandlung Felix Jud in der Innenstadt, weiß, wie die Kultur in Hamburg tickt. Ein Gespräch mit Abendblatt.

Hamburg. Seine Buchhandlung am Neuen Wall/Ecke Mellin-Passage ist eines der geheimen Kraftzentren der Hamburger Kulturszene. Seit 1962 arbeitet Wilfried Weber in der Buchhandlung Felix Jud. Inzwischen der Inhaber, kennt er Kulturmacher und Kulturkonsumenten. Zu ihm kommen Politiker aus dem nahen Rathaus. Künstler und Autoren gehen bei ihm ein und aus. Kein Wunder, dass er eine profilierte Meinung zur Lage der hamburgischen Kultur hat.

Abendblatt:

Herr Weber, nach dem vorzeitigen Rücktritt der Kultursenatorin scheint die Zeit für eine Positionsbestimmung gekommen, bevor man munter weiterwerkelt wie bisher. Aus Kulturkreisen wurde zuletzt immer heftiger moniert, dass im Rathaus kein tragfähiges Kulturverständnis herrsche.

Was ist denn für Sie der Kern von Kultur in unserer Stadt?

Wilfried Weber:

Kultur ist das gewachsene, gestaltete Miteinander. Das hat viele Traditionen in Europa. Wir haben ja allgemein das Problem, dass Kultur erst missverstanden und banalisiert und dann für überflüssig erklärt wird. Das ist ein zentraler und sehr gefährlicher Irrtum. Man kann das doch nicht auf der Ebene von Kostensteigerungen und organisatorischen Mängeln diskutieren - hier geht es um unser kulturelles Erbe, unsere Identität. Wie sollen wir uns beispielsweise gegenüber China behaupten, wenn wir kein Selbstbewusstsein haben? Das aber finden wir nur in unserer kulturellen Herkunft. Wenn man das nicht so sieht, sondern Kultur als Unterhaltungsangebot betrachtet wie im alten Rom "Brot und Spiele" oder sie gar für überflüssig hält, liegt man entsetzlich falsch.

Sie fordern, dass Hamburg seine Kultur, beginnend im Rathaus, neu bewertet. Hören Sie das auch von den Kunden Ihrer Buchhandlung?

Wir haben am Neuen Wall ganz unterschiedliche Menschen, in Herkunft und Denken. Die Kulturfrage wird von den meisten so gesehen wie von mir: dass Kultur Lebensmittel ist, unverzichtbar und in ihrer Bedeutung unersetzlich.

Und sich auch einmischt in die Belange der Stadt - so wie im Gängeviertel ...

Natürlich. Es geht ja nicht nur um die Kulturträger, sondern um das kritische Bewusstsein der Bevölkerung. Um die Chance, Dinge anders zu sehen, nach vorn zu träumen, über Veränderungen nachzudenken. Dazu braucht man auch Bildung - aber auch die nachlassende kulturelle Bildung erschwert den kritischen Dialog.

Wie nehmen Sie das Kulturleben in der Stadt wahr? Haben wir eine Metropolenkultur oder werden wir provinziell?

Derzeit schieben sich die finanziellen Probleme als bedrängend vor die Wahrnehmung der Kultur. Aber dahinter ist zu spüren, dass die handelnden Personen, auch die politische Führung, ein Stück von der Kultur weggerückt sind. Das mag keine Absicht sein, sondern liegt daran, dass sich - wie sag ich's jetzt nicht gar zu unhöflich? - eine bestimmte Form der Ahnungslosigkeit breitgemacht hat. Die meisten Politiker waren nicht mal in der Kunsthalle, sie wissen gar nicht, worüber sie reden und entscheiden. Es gibt nur ganz wenige Politiker, die das, was ich unter Kultur verstehe, auch aktiv wahrnehmen.

Ist das Berührungsangst oder macht da die Kultur etwas falsch?

Nein, das ist mangelndes Interesse. Es gibt wunderbare Ausnahmen, umfassend gebildet, die ohne großes Geschrei auskommen, ich nenne nur Willfried Maier. Aber es sind sehr wenige, und es sind in den vergangenen Jahren auch weniger geworden.

Wird die Kultur als unbequem und drängelig wahrgenommen, weil sie zu wenige Verteidiger hat? Es ist doch ein Skandal, dass ein Finanzsenator laut darüber nachdenkt, ob die Oper nicht auch ohne Subventionen auskommen kann.

Ob er das ernst meint, weiß ich nicht. Es gibt aber in der Tat eine grundsätzliche Distanz, die aber auch jetzt besonders sichtbar wird, weil diese Finanzprobleme da sind.

Wenn es um Kulturferne geht, wird immer gern die Entscheidung für die Elbphilharmonie positiv ins Feld geführt.

Die Entscheidung für die Elbphilharmonie find ich ja nach wie vor absolut richtig; es ist sehr unglücklich, dass die Planung und Durchführung dilettantisch betrieben worden ist und Frau von Welck sich das auch noch hat zumuten lassen - sie versteht doch von Hochtief nichts. Da gibt's in der ganzen Kulturbehörde niemanden, der auf Augenhöhe mit diesen Leuten hätte verhandeln können. Das ist ja auch wie eine heiße Kartoffel hin- und hergeschoben worden, und die Kulturbehörde hat diese heiße Kartoffel behalten. Die ganze Sache ist für Hamburg ein großartiges Projekt, und ich hoffe, dass nach fünf Jahren jeder in der Stadt diese schrecklichen Finanzierungsprobleme vergessen hat.

Kann die Elbphilharmonie ein Signal setzen gegen die Abwanderungsgelüste in der Kultur?

Na ja, Berlin, München und Dresden haben uneinholbare Vorteile allein dadurch, dass sie lange Zeit feudale Residenzstädte waren; Berlin ist jetzt Bundeshauptstadt und profitiert, obwohl die Stadt pleite ist, von den Bundesmitteln, die in die Berliner Kultur fließen. Diese Konkurrenz ist uneinholbar. Aber Hamburg darf sich nicht verschlafen in die Ecke stellen, und die Elbphilharmonie setzt da ein unverwechselbares Signal. Hamburg hat auch sonst noch viel Unverwechselbares - auch in der Kultur; und wir sehen das an den Touristen, die kommen.

Ihre Grunddiagnose: Es fehlt eigentlich der Dialog zwischen Politik, Kultur und denen, für die in der Stadt Kultur gemacht wird?

Es fehlt die Leidenschaft für die Kultur, die Kenntnis. Und es fehlt an der richtigen Einschätzung: Kultur ist kein Luxusgegenstand, und sie ist auch nicht langweilig ...

... was man aber nur merkt, wenn man sich ihr aussetzt und sich auf sie einlässt.

Und es fehlt das Gefühl dafür, wie viel Spaß Kultur machen kann. Intellektuellen Spaß. Man ist stattdessen immer wieder fokussiert auf banale Angebote, auf das immer gleiche.

Was könnte die Kultur selbst besser machen?

An den Angeboten für Einsteiger kann das kaum liegen, da hat sich viel getan: Kindertheater, Kinderkonzerte, Klingendes Museum, Jedem Kind ein Instrument und, und und ... Ansätze sind genug da, es müsste eben nur auch im Rathaus ein anderes Kulturbewusstsein sichtbar werden. Viel mehr ist nicht drin, das ist aber auch nicht nötig.

Hängt eine solche Bewusstseinsänderung an der Existenz eines Kultursenators oder einer Kultursenatorin?

Die einzelne Person kann da nur in Grenzen etwas bewirken. Natürlich müsste sich ein Neuer in diesem Amt im Rathaus noch viel kommunikativer verhalten. Man muss Politiker und Künstler zusammenbringen und sie nicht voneinander fernhalten und notwendige Debatten mit Maulkörben versehen. Da ist sehr viel Konfrontation gewesen. Ich denke, man kann die Dinge bessern, man muss da gar nicht so radikal vorgehen. Aber man muss das Bewusstsein haben, dass Kultur unerlässlich ist.