„Nenn mich einfach Jan“: Jan Delay über seine neue CD, mediale Fremdscham und den Tod von Michael Jackson.
Hamburg. Hamburger Abendblatt: Jan, im Song „Klar“ vom 2006er-Album „Mercedes Dance“ beschreibst du dich als „halb B-Boy“, sprich Hip-Hop-Breakdancer von der Straße, und „halb Bohemien“. In welche Richtung ist das Pendel nun ausgeschlagen?
Jan Delay: Das Pendel ist immer in der Mitte, immer ausgewogen.
Abendblatt: Hängt es von deiner Tagesform ab, ob du im edlen Smoking auftrittst oder leger wie jetzt beim Interview?
Delay: Das entscheidet die Bühne. Wenn ich mit meiner Band Disko No.1 unterwegs bin, dann bin ich der Bohemien. Aber so was manifestiert sich nicht nur oberflächlich durch den Anzug, sondern auch durch stilvollen Genuss.
Abendblatt: Lässt du es dir gerne stilvoll gut gehen?
Delay: Wann immer es geht. Man könnte natürlich Interviews in der Jugendherberge am Stintfang geben.
Abendblatt: Warum nicht?
Delay: Ja, normal! Klar! Aber natürlich lernt man mit der Zeit die schönen Dinge zu schätzen, und dann versucht man, solange es irgendwie geht, den Etat der Plattenfirma auszukosten. Das gehört für mich zum Bohemien genauso dazu, wie als B-Boy auf dem Boden zu pennen. Oder auf einer Tischtennisplatte mit dem Netz als Bettlaken.
Abendblatt: Um das Prinzip B-Boy-Schmuddelkind auszukosten: Dein neues Album heißt „Wir Kinder vom Bahnhof Soul“. Da denkt mancher natürlich gleich an Christiane F. Seht ihr euch, euphemistisch gesagt, als Schmuddelkinder des Funk und Soul?
Delay: Euphewas?
Abendblatt: Beschönigend.
Delay: Nein, ich habe einfach nach Wortspielen mit Soul gesucht, die alles beinhalten, was ich sagen will, und bei „Wir Kinder von Bahnhof Soul“ fand ich das einfach perfekt.
Abendblatt: Was bedeutet für dich Soul? Motown und Stax Records, die Erfolge von Curtis Mayfield oder Stevie Wonder, ihre Schicksale und die Verachtung seitens der weißen Mittelschicht? Eine Parallele zum Hip-Hop?
Delay: Soulmusik ist für mich Marvin Gaye, Otis Redding, Aretha Franklin, das sind alles Wunder. Soul ist aber auch eine Geisteshaltung, Begeisterung für Subkulturelles und freie Meinung.
Abendblatt: Mit dem Song „Showgeschäft“ pustet ihr alles raus, was euch als Band bewegt. Fette Bläser, Wurlitzer-Piano-Teppiche, schöne Harmonien. Bist du mit Disko No. 1 durch die vielen Konzerte zusammengewachsen?
Delay: Ja. Das war auch der Grund, warum ich „Wir Kinder vom Bahnhof Soul“ überhaupt gemacht habe. 50 Konzerte nach „Mercedes Dance“ dache ich, dass ich schön blöd wäre, wenn ich das jetzt nicht noch mal machen würde. Auch weil wir noch nicht da waren, wo wir hingehören. Wir hatten noch was zu sagen. Denn eigentlich war es die Regel, nach jedem Delay- ein Beginner-Album aufzunehmen. Die Beginner Denyo und Mad haben das sofort verstanden und meinten: „Ja, klar, mach. Leg los.“
Abendblatt: Zum Song „Überdosis Fremdscham“: Wann hast du dich zuletzt fremdgeschämt?
Delay: Lustigerweise stellt diese Frage jeder dritte Journalist.
Abendblatt: Dann hast du bei den nächsten zwei Kollegen Ruhe. Das ist doch was.
Delay: Wenn man etwas im Fernsehen sieht, passiert das sehr oft. „Exclusiv Weekend“ und ähnliche Formate bieten 45 Minuten Fremdscham am Stück. Wobei ich mich bei den Sprechern fast noch mehr schäme als für die Leute, die da porträtiert werden. Da kommt dann mit verstellter Stimme: „Hja, dann muss sich jetzt die Baronin von Dings entscheiden, welche der fünf Pelze sie nehmen will. Ist ja ein hartes Leben.“ Immer wenn ich diese Pseudo-Ironie höre, dann könnte ich die alle erschießen.
Abendblatt: Der Song „Abschussball“ ist Prince pur.
Delay: Voll, voll. Auch auf „Mercedes Dance“ hatten wir mit „Plastik“ eine Prince-Hommage dabei. Wir könnten auch eine ganze Platte mit diesem Sound machen, aber dann wird es langweilig. Aber das ist einfach unser Sound. 70ies-Funk.
Abendblatt „B-Boys & Disko-Girls“ ist auch so ein instrumentaler 70er-Rückblick. Wie ein Verfolgungsjagd-Filmintro.
Delay: Genau diese Art von Movie-Themes sind die Hits von den B-Boys gewesen, wie „Shaft In Africa“ zum Beispiel.
Abendblatt: Magst du alte Verfolgungsjagd-Filme?
Delay: Nein, das ist DJ Mad, der hat jeden Film, den es gibt – und einen alten Dodge Charger. Ich habe ja nicht mal einen Führerschein und fahre in Hamburg immer U-Bahn, Bus, Fahrrad, Taxi. Und sonst ICE.
Abendblatt: Worauf dich sicher auch der überübernächste Journalist ansprechen wird, ist das Stück „Kommando Bauchladen“, in dem du die ganzen „Geiz-ist-geil“-Ketten attackierst. Nervt dich das, permanent auf konsumkritische oder politische Texte abgeklopft zu werden?
Delay: Überhaupt nicht. Die einzige Sache, die mich nervt, ist dieses seit zehn Jahren immer wieder vorgeworfene „Du kannst nicht links sein und Nikes tragen“. Vor ein paar Jahren noch war man, wenn man zwei politische Songs auf der Platte hat, der „politische Künstler“, und all die schöne Musik, die da sonst noch so drauf ist, gerät in den Hintergrund. Und auf der anderen Seite ist man, wenn mal ein politischer Song weniger drauf ist, das Schwein, welches das Lager gewechselt hat.
Abendblatt: Der Konsum-Trottel.
Delay: Genau, dabei ist man doch nur Musiker und Entertainer und will einfach das machen, was einen bewegt.
Abendblatt: Wie hältst du die Balance zwischen Lebensstil und Lebensgefühl, ohne bei Bäckereiketten schlecht schmeckende Brötchen zu kaufen?
Delay: Niemand kann der perfekte Gutmensch sein, sonst müsste man als Fruganer irgendwo in der Wildnis leben. Es geht darum, dass es allein schon ein großer Schritt ist, sich bewusst zu sein, dass man hier und da bei einem Arschloch einkauft. Man sollte sich trotzdem die Freiheit rausnehmen dürfen, auch mal zu genießen. Nur mit Spaß kann man überhaupt Kraft schöpfen um Gutes zu tun, sonst vertrocknet man doch.
Abendblatt: Udo Lindenberg würde dir beipflichten, der kraucht doch sicher auch hier irgendwo im Atlantic…
Delay: Der ist nicht da, ich habe schon versucht, ihn anzurufen. Der ist irgendwie weg.
Abendblatt: Wie war es, als Gaststar von Udo in der Color-Line-Arena aufzutreten?
Delay: Das waren für mich die ersten Udo-Konzerte in meinem Leben, obwohl ich immer ein großer Udo-Fan war. Aber für mich waren diese Abende auch stressig, ich würde gerne mal ein Udo-Konzert einfach so sehen. Er ist ein Großer. Wie Michael Jackson.
Abendblatt: Michael Jackson wird auf „Wir Kinder von Bahnhof Soul“ mit dem Lied „Disko“ zitiert. Wie hast du seinen Tod aufgenommen?
Delay: Das war ganz schrecklich, ich hatte gerade meine 1Live-Sendung gemacht, und dann musste ich das live über den Sender verkünden. Mir haben die Worte gefehlt, und ich habe die Sendung dann auch über den Haufen geschmissen und nur noch Michael gespielt. Schlimm.
Abendblatt: Wenn du an Michael Jackson denkst, welcher Song fällt dir als Erstes ein?
Delay: Mein Lieblingssong ist „Wanna Be Startin’ Somethin’“, der schönste ist sicherlich „Ben“ und der wichtigste „Don’t Stop Til You Get Enough“.
Abendblatt: Hast du jetzt genug von Funk und Soul?
Delay: Ich habe jedenfalls keine Lust, jetzt noch mal so eine Platte zu machen. Das finde ich langweilig. Aber: Für mich persönlich gibt es keine bessere Band als Disko No.1. Ich meine jetzt nicht auf der Welt, sondern für mich.
Abendblatt: Also folgt jetzt ein Beginner-Album?
Delay: Ja. Allerdings kann ich noch nicht sagen, was darauf passieren wird. Und ich schätze, dass das auf keinen Fall nur Rap sein wird. Was wir aber garantiert nicht machen werden – eher werde ich mich nackt an das Rathaus ketten, bevor das passiert –, ist, mit einer Liveband aufzutreten. Die Beginner haben DJ Mad, der ist die beste Band der Welt.