Der jüngste Hype des Pop: Lana del Rey bringt heute ihr Album “Born to Die“ heraus. Hinter der Single “Video Games“ bleibt es leider zurück.
Hamburg. Als Lana del Rey im November bei "Inas Nacht" zu Besuch war, machte sie eine recht gute Figur. In schwarzer Abendrobe und lasziver Stimmung brachte sie nicht nur New Yorker High-Class-Sex, sondern auch kosmopolitische Melancholie in den Schellfischposten. Der jüngste Hype des Pop zu Gast in Hamburgs ältester Seemannskneipe: Das war, im Hinblick auf die jeweiligen Zeichensysteme, ein staunenswerter Kontrast. Die Künstlerin performte ihren Nummer-eins-Hit "Video Games", und vom gestammelten Englisch der wie stets aufgedrehten Gastgeberin ließ sich die 25-Jährige so wenig irritieren wie vom Shanty-Chor.
Allerdings gibt es, wenn man will, eine Verbindung von Seeleuten und Sängerinnen wie Miss del Rey. Sie zeigt sich in jeder zum Ausdruck gebrachten Gefühlsregung, also der vollendeten Wehmut, Sehnsucht und Illusion.
Heute erscheint das neue Album der 1986 in New York als Elizabeth Grant zur Welt gekommenen und in Lake Placid aufgewachsenen Sängerin. "Born to Die" (Universal Music) ist interessanterweise zu dem Zeitpunkt zu haben, an dem die Aufregung um Lana del Rey fast schon in genervte Ignoranz umzuschlagen drohte. Denn der Wirbel war enorm: um "Video Games" und eine Sängerin, die auf offensichtliche Weise eine aufsehenerregende Selbstinszenierung betreibt. Sie sieht aus wie eine Kunstfigur, in mehrfacher Hinsicht.
Friseure sagen, dass ihr Haar so in den 60er-Jahren getragen wurde. Schönheitschirurgen sagen, dass ihre Lippen so in der Natur nicht vorkommen. Und Popmusik-Fans sagen, dass die Songs "Video Games" und "Blue Jeans" zum Besten gehören, was in jüngerer Vergangenheit zu hören war.
Lana del Reys Stimme hat bei Bedarf ein dunkles, kräftiges Timbre, das perfekt zu getragenen Songs passt. Diese sind im Falle des Überfliegers (der zurzeit hauptsächlich in London lebt) übrigens bemerkenswert konservativ, was die Texte angeht. Hinter der forsch entworfenen Showbiz-Welt - siehe das Video von "Video Games" - und dem theatralischen Entwurf eines Lebens im Breitwandformat versteckt sich ein doch recht herkömmliches Selbstbild.
Denn die alles andere als ironische Schönheit del Reys wurzelt im Verlangen, den Kerlen zu gefallen. Leider will der Traumprinz nicht immer so wie das Mädchen. Weshalb am Ende nichts bleibt außer Herzschmerz: "This is what makes us girls/we don't look for heaven and we put love first."
Das macht sie zu Mädchen, Lana und all die anderen. Liebe an die erste Stelle setzen, auch wenn's nicht gut ausgeht. Wahrscheinlich würde sich die Künstlerin, die ihr Album einer düsteren Vorsehung gewidmet hat ("Geboren, um zu sterben"), immer zum romantischen Fatalismus bekennen. In der Konkurrenz der weiblichen Musiker ist diese Verfassung, die den Selbstbehauptungswillen in der Leidensfähigkeit vollstreckt, ein Alleinstellungsmerkmal. Ihr Album übrigens bleibt hinter der Qualität der Singles zurück. Der glatte Sound wird ihr viel Radiopräsenz bescheren, aber nicht jeder Song hat das Zeug zum Hit. Was vielleicht kein großes Wunder ist: Perlen glitzern, weil ihre Umgebung dumpf anmutet.
Lana del Rey ist eine der großen Nummern im Pop-Zirkus 2012. Niemand wird die Vorschusslorbeeren nach dem Hören von "Born to Die" wieder einsammeln. Und wem die Songs zu egal sind: Das Gesamt-Kunstwerk Lana del Rey bietet so oder so eine große Projektionsfläche für unsere Wünsche - Frauen und Männern.
Lana del Rey: "Born to Die" (Universal Music)