Das Auto ist so alt wie der Film, und so folgt ab Donnerstag im Kino auch “Drive“ dem klassischen Motiv der Einheit von Fahrer und Fahrzeug.
Hamburg. Da steht er. Ganz ruhig. Unauffällig ist er, obwohl sein Äußeres nicht ganz den Geschmack der Zeit trifft. Aber tief im Herzen lauert eine unkontrollierbare, gewalttätige Energie. Das ist Driver (Ryan Gosling), ein Stuntfahrer in Los Angeles - und sein 1973er Chevrolet Chevelle. Auf beide passt die Beschreibung, sie sind eins.
Ryan Gosling und der Chevelle sind zwei zentrale Elemente in Nicolas Winding Refns Thriller "Drive", der 2011 in Cannes gefeiert wurde und am 26. Januar in die deutschen Kinos kommt. "Drive" ist brutal in seinen Längen, drastisch in seiner eruptiven Gewaltdarstellung und ganz klassisch in seinen Anlagen. Denn "Drive" bedient sich in kurzen, aber sehenswerten Einstellungen aus dem Kanon der PS-Filme, der fast so alt ist wie der Film selbst.
Mit Schiffen, Flugzeugen und Raketen überwand der Mensch Grenzen und Horizonte, aber keine Erfindung vereinte die Faszination von Geschwindigkeit und Individualität wie das Auto, dieses Sinnbild für Innovation - und für die Hybris des blinden Fortschrittglaubens. Das Auto ist Mensch. So konnte es kein Zufall sein, dass Motorwagen und bewegtes Bild als Schrittmacher von Leben, Technik und Kultur gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihre entscheidenden Schritte machten. Und schon 1903 flimmerte zusammen, was zusammengehört: Alf Collins' fünfminütiger Stummfilm "Runaway Match" ließ ein Hochzeitspaar im Auto vor dem wütenden Vater der Braut fliehen. Die Filmpremiere einer Verfolgungsjagd.
Das filmische Messen von Kraft, Gewitztheit und Kontrolle über Technik und Umwelt brauchte allerdings noch Zeit, um Tempo zu gewinnen und Populärkultur zu werden. In den 50er-Jahren, dem Jahrzehnt, wo sich das Auto auch in Deutschland vom Luxus- zum Konsumgut wandelte, war es Robert Mitchums Alkoholschmuggel-Raser "Thunder Road" (1958), der in der Motornation USA Massen in die (Auto-)Kinos lockte. Aber heute ist "Thunder Road" vergessen, im Gegensatz zum 007-Klassiker "Goldfinger". Hier erfuhren Mensch und Maschine 1964 eine Einheit, die bis heute wirkt. Die damals spektakulären, durch technische Spielereien wie eingebaute Maschinengewehre und Schleudersitz überzeichneten Verfolgungsjagden machten nicht nur James Bond zur Kultur-Ikone, sondern auch seinen silbernen Aston Martin DB5. Zwar lenkte 007 in den folgenden Jahrzehnten einen weltumspannenden Fuhrpark von der Ente über den tauchfähigen Lotus Esprit bis zum Ford Mondeo, aber der DB5 blieb das Bond-Auto. Weil es so besonders war wie sein Fahrer - Sean Connery natürlich.
Denn nicht immer ging die Rechnung auf, dass ein Film-Auftritt ein Fahrzeug unsterblich macht. Der solide, aber spießige BMW 740iL aus "Der Morgen stirbt nie" ist trotz Bond-Rolle längst Alteisen. "Manta, Manta" machte einen sportlichen Opel endgültig zur für alle Ewigkeit stigmatisierten Proll-Schaukel. Der DeLorean DMC-12 hingegen, wirtschaftlich und technisch ein kapitaler Flop, wurde dank "Zurück in die Zukunft" zum Kultobjekt.
Autos unterstrichen natürlich nicht nur die Persönlichkeit der Fahrer, manche wurden sogar selber lebendig: "K.I.T.T." aus "Knight Rider", Kult-Käfer "Herbie", der mörderische Plymouth Fury "Christine" oder die "Transformers" entwickelten Eigenleben genug, um die eigentliche Hauptrolle zu übernehmen.
Aber Autos mussten nicht sprechen oder durch die Zeit reisen können, um Filme dank vieler Pferdestärken legendär zu machen. In "Bullitt" (1968) von Peter Yates reichte es, Steve McQueen und seinen grünen Ford Mustang neun Minuten lang hinter einem schwarzen Dodge Charger durch San Francisco hetzen zu lassen.
Ohne Musik und Dialoge, nur mit quietschenden Reifen, klappernden Radkappen, knirschendem Blech und einer finalen Explosion beeinflusste Yates die Rolle von Autos in Filmen bis heute und trat eine ganze Blechlawine los: "French Connection", "Two-Lane Blacktop", "Starsky & Hutch", "Gone in 60 Seconds", "The Driver", "Blues Brothers", "Ronin" oder "The Fast and the Furious" rasten auf der Basis von "Bullitt", der auch in "Drive" genüsslich zitiert wird, bis in die Gegenwart.
Die bleifüßige Action sorgte für Zündstoff, das entsprechende Auto verbildlichte den Charakter, seinen Status, seine Coolness. Seine Freiheit. Vorbildlich war Barry Newman im stilbildenden Roadmovie "Vanishing Point" (1971) der "Soul Hero", sein weißer Dodge Challenger das "Soul Mobile". Gemeinsam trotzten sie bis zum finalen Crash der Staatsmacht, ein Sinnbild auf die damals noch kommende Ära der Ölkrisen und Tempolimits. Nicht umsonst ließ Quentin Tarantinos "Death Proof" (2007) Heldinnen - endlich mal tolle Frauen am Steuer - und Bösewicht in Form eines weißen Challengers und eines schwarzen Chargers gegeneinander antreten: ein Showdown als Hommage für "Vanishing Point" und "Bullitt", die großen Urväter der cineastischen Kombination von starken Persönlichkeiten in kraftvollen Karren.
Auch Ryan Gosling inszeniert sich in "Drive" wie ein Enkel von Steve McQueen und Barry Newman. Ein sturer Schweiger mit dem entsprechenden Fahrzeug als untrennbare Schicksalsgemeinschaft. Diese Zweisamkeit entstand sogar schon hinter den Kulissen: Gosling restaurierte den Chevelle eigenhändig für den Dreh.
So ist "Drive" das aktuelle Beispiel eines archaischen, aber immer wieder sehenswerten Kino-Motivs: der Mann und das Auto als Einheit. So wie es Mercedes-Narr Kalle Grabowski (Ralf Richter) in der Ruhrpott-Komödie "Bang Boom Bang" (1999) forderte: "Du brauchst ein Fahrzeug, das zu dir passt. Mit Stil. Eins mit Charakter." So müssen auch Film-Autos sein, zumindest bis ihr Schicksal, frei nach Kalle, erfüllt ist: "Die meisten habe ich doch alle zu Schrott gefahren."