Von Wacken bis Dockville, von Hurricane bis Rock am Ring: Auf Festivals, da kann man immer was was erleben ... oder auch vergessen.
Wie jung und naiv waren wir damals auf unserem ersten Festival! Wacken Open Air, 1998. Mit sechs Mann, drei Iglu-Zelten und zwei Autos fuhren wir in den damals mit 15 000 Besuchern noch eher familiären Metal-Moloch. Unsere Vorräte waren begrenzt. Ein Kasten Bier und vier Dosen Texas-Bohneneintopf pro Kopf sollten für drei Tage ausreichen. Und so zechten wir uns am ersten Nachmittag wie die anderen 15 000 die Augen dick und feierten mit ordentlich Druck auf dem Kessel auf dem Bühnengelände jede Band von J.B.O. bis Stratovarius. Hemmungen? Fehlanzeige. So lachten wir in der ersten Nacht auch nach dem zehnten Mal noch über den alten Wacken-Witz: "Hassu meim Freund geseh'n? Dem mit lange Haare und Metalshirt?" Muahaha. Was für ein August-Erlebnis.
Am nächsten Morgen hatte der Spaß sein Ende. Das Bier war alle, wir waren trockengefallen und warteten in der sengenden Sonne, mit der letzten im Wacken-Supermarkt ergatterten Dose Alsterwasser, auf einen Nachzügler aus Siegen. Als er kam, hatte er zehn Minuten später auch kein Bier mehr.
1999 waren wir - vorgeschlaut - mit sechs Mann und 20 Kisten Bier angerückt, dafür hatte der Siegener seinen Schlafsack im Siegerland vergessen und schlief in einer Rettungsfolie aus dem Verbandskasten. Aber jedes Jahr wurde das Camp komfortabler. Mehr Bier, mehr Bänke und Tische, gutes Futter, Pavillons, Gas-Kühlschrank, sogar ein Benzingenerator für Stereoanlage, Fernseher und Spielekonsole wurde angekarrt. Bierleichen wurden unter einer großen Astra-Fahne zugedeckt und die letzten Ehren erwiesen. Wir waren sprichwörtlich eingebunkert wie klassische deutsche Pauschaltouristen.
Warum ich mich von 1998 bis 2005 jährlich auf die strapazierte Wiese in der Nähe von Itzehoe schleppte, fällt unter die Kategorie "Wer sich an Wacken erinnern kann, war nicht da". Ich weiß nur, dass ich jedes Jahr weniger Bands gesehen habe und stattdessen lieber im kühlen Planschbecken zwischen dümpelnden Pilsenern lag. Warum den langen Kilometer zum Bühnengelände latschen, wenn das Urtyp treibt so nah?
Und dann kommt pünktlich zur Überschreitung der Ü30-Altersgrenze der Punkt der Ermüdung. Die Bequemlichkeit, gepaart mit der Übersättigung von ritualisierten Exzessen, ließen das letzte verbliebene "Sepultura"-Metalshirt (Jahrgang 1991), mittlerweile von Schwarz zu Hellgrau gewaschen, für immer in den Schrank wandern.
Auf Festivals, ob Hurricane oder Dockville, wird jetzt artig gearbeitet. Am Laptop sitzend, mit Wichtigtür-Pass um den Hals und einem Sechserpack Bier für drei Tage. Feiern sollen die anderen, schließlich gilt es, keine vielversprechende Band zu verpassen.
Die alte Wacken-Gang fährt immer noch jedes Jahr auf das verschlammte oder verstaubte Wacken-Grün und berichtet von Sodom, Gomorrha und hektisch vernichteten Hektolitern. "Letztes Jahr in Waggn, boah was waren wir durstig!" Ich höre schon gar nicht mehr zu, wenn Opa vom Krieg erzählt.
Nur nachts kommen manchmal die Bilder zurück, Bilder vom orientierungslosen Aufwachen (Müdigkeit und Scherben auf dem Boden waren keine gute Kombination) im Sanitäterzelt. Von Torfrock-Liederabenden im Gewittersturm. Von drei verpassten Auftritten der damaligen Lieblingsband Six Feet Under. Von der Bierleiche, die plötzlich mit um den Hals geknoteter Fahne auferstand und "Ich bin Captain Astra"-brüllend vom Biertisch abhob. Von Freundschaft und ewig geschworener Metal-Treue.
Ja, da kann man was erleben. Man könnte zwischen Hurricane und Dockville im August ja mal wieder hinfahren. Nach Wacken. Aber es ist längst ausverkauft. Auch gut.