Schreibblockaden kennt die erfolgreiche Kinder- und Jugendbuchautorin Kirsten Boie nicht. Am 19. März wird sie 60 Jahre alt.

Frankfurt a.M.. Einen ungestörten, ruhigen Platz hat Kirsten Boie zum Schreiben nie gebraucht. Viele ihrer kleinen und großen, frechen und schüchternen Kinderfiguren sind an ihrem Küchentisch entstanden. Zwischen Frühstück und Mittagessen, dem Schmieren von Schulbroten und Telefonaten mit anderen Müttern.

Mehr als 60 Bücher hat Kirsten Boie in den vergangenen 25 Jahren veröffentlicht. Die meisten wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, viele prämiert. 2007 erhielt sie für ihr Gesamtwerk den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises, 2008 den Großen Preis der Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, 2006 den Evangelischen Buchpreis.

Spannende Phantasiegeschichten und historische Romane gehören ebenso zu ihrem Repertoire wie humoristische Alltagserzählungen über Familie, Tiere und Kinderfreundschaften wie die „Kinder-aus-dem-Möwenweg“-Reihe. Doch auch vor schwierigen Themen wie Mobbing, Rechtsextremismus oder Depressionen schreckt sie nicht zurück.

„Entscheidend für einen Kinderbuchautor ist es, sich in die Gefühlswelt der Kinder einfinden zu können“, sagt Boie. Dabei habe ihr die Erinnerung an die eigene Kindheit geholfen, aber auch die Erziehung ihrer beiden Kinder. Deren Alltagserfahrungen und Sicht auf die Welt seien in die Bücher eingeflossen. Und zwar von Anfang an. Denn zum Schreiben kam die Hamburger Autorin erst durch ihren Sohn.

Eigentlich wollte die promovierte Literaturwissenschaftlerin ihr Leben lang als Lehrerin arbeiten. Doch sie musste die Stelle aufgeben, als sie ihr erstes Kind adoptierte. Dessen Erlebnisse als schwarzer Sohn weißer Eltern schrieb sie 1985 in „Paule ist ein Glücksgriff“ auf.

Ein Glücksgriff war auch das Buch. Der Hamburger Oetinger Verlag veröffentlichte die Geschichte sofort, denn über das Thema Adoption gab es kaum etwas. Schon gar kein Kinderbuch, das humorvoll und hintergründig mit Vorurteilen gegenüber Ausländern, „Rabenmüttern“ und Adoptivfamilien spielte. Nie erhebt Boie dabei den moralischen Zeigefinger. Sie bringt ihre Wertvorstellungen sehr indirekt und unverkrampft ein.

„Natürlich versuche ich, so zu schreiben, dass Werte sichtbar werden,“ sagte die Bestsellerautorin dem EPD. „Aber ich verfolge keine besonderen pädagogischen Zielsetzungen.“ Daher hat Boie auch keine Berührungsängste mit „schlimmen Wörtern“, Lügen oder starken Emotionen. Romane wie „Jenny ist meistens schön friedlich“, „Man darf mit dem Glück nicht drängelig sein“ oder „Mit Kindern redet ja keiner“ spielen teils in zerrütteten Familienverhältnissen, die Boie aber völlig unaufgeregt schildert. Ihre Gesellschaftskritik verpackt sie in Ironie und Humor. Etwa, wenn die Kinder unbedarft Vorurteile ihrer Eltern oder Lehrer zitieren und altkluge Sprüche kopieren.

Denn bei aller Ernsthaftigkeit der Themen ist Kirsten Boie vor allem eins wichtig: Sie möchte, dass Lesen Spaß macht. Ein Anspruch, der bei dem großen Medienangebot heute immer schwieriger zu erfüllen sei, glaubt sie. „Wenn Kinder erst in der Schule mit Büchern konfrontiert werden, sind die Chancen einfach schlecht, dass sie Lust am Lesen bekommen.“

Mit Vorlesebüchern will sie die Kinder möglichst früh an das Medium Buch heranführen. Dicke Schmöker wie „Der kleine Ritter Trenk“ oder „Seeräuber-Moses“ sollen Eltern ihren Kindern vorlesen, damit diese erfahren, „wie es ist, für ein paar Wochen in einer anderen Welt zu leben“. Eine Erfahrung, die Kirsten Boie wichtig ist, weil sie sie selbst als Kind gemacht hat.

In ihrem wohl persönlichsten Buch „Monis Jahre“ erzählt sie von ihrer Kindheit in den 50erJahren in Hamburg, als sie, behütet und aus kleinen Verhältnissen stammend, die Oberschule besuchen durfte und sich ihr die Welt der Bücher erschloss.

Auch in ihrem jüngsten Werk, „Ringel, Rangel, Rosen“, das kurz vor dem 60. Geburtstag der Autorin erschienen ist, bildet Hamburg die Kulisse für eine schwierige Jugendzeit. Dieses Buch, das die Aufarbeitung der deutschen NS-Vergangenheit mit der Hamburger Sturmflut 1961 verknüpft, sei eine ihrer größten Herausforderungen gewesen, sagt Boie. „Ich wollte unaufgeregt darstellen, wie schwierig es ist zu begreifen, dass die eigenen Eltern bewusst die Augen vor dem Unrecht verschlossen haben.“

Es habe viele Spaziergänge gebraucht, bis sie sich an ihren Laptop setzen konnte, erzählt Boie. Doch das hat ihr nicht die Freude am Schreiben verdorben. Im Gegenteil. „Mit 60 Jahren werde ich als Autorin nicht in Rente gehen“, versichert sie. „Dazu habe ich noch zu viele Ideen“.