Roth, der 77 Jahre alt wird, kehrt in seinem neuen Roman “Die Demütigung“ zum eigentlichen Thema zurück: Verwundbarkeit des Menschen.
Philip Roth, eine Art Elder Statesman der amerikanischen Schriftsteller, widmete sich zuletzt - in dem fulminanten Roman "Empörung" (auf Deutsch im vergangenen Jahr erschienen) - einem jungen Mann, der an den politischen und religiösen Vorstellungen seiner Zeit auf höchst tragische Weise scheitert und im Koreakrieg tödlich verletzt wird. Nun ist Roth, der in diesem Monat 77 Jahre alt wird, mit seinem neuen Roman "Die Demütigung" zu seinem eigentlichen Thema zurückgekehrt: der Verwundbarkeit und Anfälligkeit des Menschen in seinem unaufhaltsamen Prozess des Alterns - einem "Massaker", wie Philip Roth diesen Vorgang im Roman "Jedermann" benannt hat.
In dem neuen Buch von knapp 140 Seiten legt der amerikanische Autor einen Bühnenschauspieler von Rang gewissermaßen auf den Seziertisch, einen Mann Mitte sechzig, der auf der Höhe des Ruhms einsehen muss, dass er den Anforderungen auf der Bühne nicht mehr standhalten kann. "Das Schauspielern wurde zum allabendlichen Versuch, sein völliges Unvermögen zu vertuschen." Gnadenlos gescheitert war Simon Axler zuletzt als Macbeth.
"Er hatte seinen Zauber verloren" , heißt es im ersten Satz eines Prosawerkes, das nicht nur in seiner Struktur einer griechischen Tragödie gleicht. In drei Kapiteln erzählt Roth vom "kolossalen Zusammenbruch" eines Menschen, vom Aufflackern eines Hoffnungsschimmers und vom elenden Ende.
Nach einem freiwilligen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik fühlt sich Simon Axler stabil genug, in sein einsam gelegenes Landhaus zurückzukehren und sich in seinem Unglück passabel einzurichten, indem er versucht, sich "wenigstens für eine Minute pro Stunde zu vergessen". Die gleichzeitige Auflösung seiner Ehe mit einer "arbeitslosen Tänzerin" wird von Philip Roth mit einem einzigen Satz abgehandelt. In dieses misanthropische Lebensarrangement, "fertig mit dem Spielen, mit Frauen, mit Menschen, für immer fertig mit dem Glück", platzt eine deutlich jüngere Frau und stellt alles auf den Kopf. Pegeen, "eine geschmeidige, vollbrüstige Frau von vierzig", ist Dozentin an einer nahe gelegenen Universität. Sie ist die Tochter von Jugendfreunden und "entschlossen, nach siebzehn Jahren als Lesbe eine Beziehung mit einem Mann zu haben". Die Affäre, die die beiden miteinander beginnen, ist für Simon Axler Lebenselixier und Verheißung in einem.
Denn angesichts der viel jüngeren Geliebten spürt der alternde Schauspieler erneut die fast schon vergessene Macht und Kraft eines Mannes, wenn er etwa Pegeen mit teuren Geschenken überhäuft, für Tausende Dollar Kleider kauft und ihr einen 200-Dollar-Haarschnitt verpasst. "Er half Pegeen lediglich", redet er es sich schön, "die Frau zu sein, die er begehrte, anstatt eine Frau, die andere Frauen begehrte." Pegeen aber teilt ihm seine Rolle auf der Bühne ihrer Beziehung zu, die zunehmend von ihr allein beherrscht wird.
Dennoch stürzt sich Simon Axler in waghalsige Zukunftsfantasien: Würde sie vielleicht erwarten, dass er seine Karriere wieder aufnimmt, dass er sich den Rücken operieren lässt, ihr ein Kind macht? Der Absturz aus diesen Hoffnungen ist gnadenlos und entsetzlich.
Und so hat Philip Roth einmal mehr - nach "Das sterbende Tier", ,,Jedermann" und "Exit Ghost" - den Abgesang auf das Leben als Mann angestimmt. Auch in dieser menschlichen Tragödie staffiert er seine Figur mit den Attitüden des begehrenden Mannes aus und zeigt sie mit scheinbar teilnahmsloser Kühle in ihrer ganzen Erbärmlichkeit und traurigen Verblendung.
Schon immer war Philip Roth ein Meister in der Darstellung des menschlichen Aufbegehrens gegen das Unabänderliche. Doch so dunkel, unheilvoll und unbarmherzig wie in "Die Demütigung" war er bisher kaum.