Angeblich soll der deutsche Ausgräber Ludwig Borchardt 1913 die Ägypter getäuscht haben. Eindeutige Beweise gibt es dafür nicht.
Hamburg. Es dürfte kein sehr angenehmes Gespräch gewesen sein, das Friederike Seyfried, die neue Direktorin des Berliner Ägyptischen Museums, am vergangenen Wochenende in Kairo mit Zahi Hawass, dem ebenso umtriebigen wie umstrittenen Generaldirektor der Ägyptischen Altertumsverwaltung, geführt hat. Schon vorab hatte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu der die Staatlichen Museen Berlin gehören, per Pressemitteilung erklärt, dass aktuelle Zeitungsberichte, nach denen Seyfried mit Hawass "über den Verbleib der berühmten Büste der Nofretete verhandele, jeglicher Grundlage entbehren".
Hawass dürfte das anders sehen. Denn was da vor etwa 97 Jahren in Ägypten genau geschah, als die inzwischen weltberühmte Büste der Nofretete von dem deutschen Archäologen Ludwig Borchardt bei Ausgrabungen im mittelägyptischen Amarna entdeckt und anschließend Deutschland zugesprochen wurde, ist höchst umstrittenen. Nach offizieller deutscher Auffassung ging damals alles mit rechten Dingen zu. Hawass geht dagegen von einem üblen Täuschungsmanöver aus, mit dem Borchardt damals den wahren Wert der Büste verschleiert und die ägyptische Seite hinters Licht geführt habe.
Hawass freilich ist ein begnadeter Selbstdarsteller und wird in Fachkreisen gern als "Kampfelefant der Ägyptologie" bezeichnet. Erst im Herbst dieses Jahres konnte er einen Prestige-Erfolg verbuchen, als der Louvre sich bereit erklärte, fünf Wandmalerei-Fragmente aus Luxor zurückzugeben. Ägyptische Fachleute hatten nachweisen können, dass diese Artefakte in den 1980er-Jahren aus einer Fundstelle gestohlen und außer Landes gebracht worden waren. Schon in der Vergangenheit hatte Hawass immer wieder die Rückgabe der Nofretete verlangt, doch gestern kündigte er nun an, ein "offizielles Rückgabeersuchen der ägyptischen Regierung" vorbereiten zu lassen. Sollte es dazu kommen, würde "Die Schöne, die da kommt" - so wird der Name der Königin wörtlich übersetzt - endgültig zur deutsch-ägyptischen Staatsaffäre.
Die fast 3500 Jahre alte Büste, die wie kaum ein anderes Werk der Weltkunst die Unvergänglichkeit der Schönheit verkörpert, ist die Hauptattraktion des Mitte Oktober wieder eröffneten Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel. Nach Meinung der Ägypter gehört sie aber nicht nach Berlin, sondern einzig und allein nach Kairo. Dass das dortige Ägyptische Museum aus allen Nähten platzt und kaum angemessene Möglichkeiten zur Präsentation der Nofretete bietet, ist für Hawass kein Argument, schließlich ist in Gizeh, in Sichtweite der Pyramiden, ein kolossaler Neubau in Arbeit, der 2013 fertiggestellt werden soll.
Für dessen Eröffnung hat Hawass schon im vergangenen Jahr die Nofretete als Leihgabe erbeten und war aus Berlin abschlägig beschieden worden. Offiziell hieß es, die Büste sei zu fragil für einen so langen Transport. Am 18. Dezember veröffentlichte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz aber eine Mitteilung, nach der die Anfrage noch geklärt werde. "Ausschlaggebend werden allein die Ergebnisse der konservatorischen Untersuchungen insbesondere zur Transportfähigkeit sein, die noch nicht abgeschlossen sind." Für Insider steht freilich fest, dass das Ergebnis nur negativ sein kann.
Im Frühjahr nahm die Diskussion um Nofretete eine unerwartete Wendung, nachdem der deutsche Ägyptologe Rolf Krauss im US-Fachblatt "KMT" einen Beitrag veröffentlicht hatte, in dem er die Echtheit des sogenannten Klappaltars von Kairo in Zweifel zog und Ludwig Borchardt einer beispiellosen Intrige verdächtigte. Hintergrund ist die Teilung der Funde, bei der den Ägyptern der Kalksteinaltar zugesprochen wurde, auf dem Echnaton, Nofretete und deren Kinder dargestellt sind, die Deutschen im Gegenzug aber Nofretete erhielten. Aufgrund der Darstellungsweise und der Inschriften behauptet Krauss, dass dieser Altar vermutlich von Borchardt gefälscht worden sei, der den Ägyptern damit ein wertloses Stück unterschob, als Äquivalent für die kostbare Nofretete.
Der Hamburger Ägyptologe Martin von Falck, der unter anderem für das wissenschaftliche Konzept der aktuellen Tutanchamun-Ausstellung in Hamburg verantwortlich zeichnet, hatte im "Spiegel" die Thesen von Krauss zunächst für überzeugend gehalten. Jetzt revidierte er im Gespräch mit dem Abendblatt diese Meinung: "Krauss hat zwar interessante Beobachtungen gemacht, seine Schlussfolgerungen sind aber keineswegs zwingend. Ich glaube nicht, dass es sich bei dem Kairoer Klappaltar tatsächlich um eine Fälschung handelt", sagte von Falck.
Bereits im Februar hatte der "Spiegel" historische Dokumente der Deutschen Orient-Gesellschaft veröffentlicht, die ebenfalls Zweifel an der Seriosität von Borchardt nähren könnten - und die von Hawass dankbar aufgegriffen wurden. Aus den bis dahin unbekannten Protokollen der Fundteilung kann man den Eindruck gewinnen, Borchardt sei manipulativ vorgegangen.
Versetzen wir uns in das Jahr 1913 zurück: Am 20. Januar reiste der Antikeninspektor Gustave Lefébvre zu den deutschen Ausgräbern, um die Teilung "a moité exacte" (zu gleichen Hälften) vorzunehmen. Die ägyptische Rechtsordnung schrieb nämlich vor, dass die Ausgräber - in diesem Fall die Deutsche Orient-Gesellschaft - die eine Hälfte, der ägyptische Staat aber die andere Hälfte erhalten sollten. Borchardt hatte die einzigartige Bedeutung der Nofretete längst erkannt und wollte sie für Deutschland sichern. Daher habe er, so steht es in den Dokumenten, dem Kontrolleur "nicht die vorteilhafteste Fotografie" vorgelegt und ihm die Büste, die bereits in einer Kiste lag, "nicht gerade in bester Beleuchtung" präsentiert. Tatsache ist, dass Levébvre auf Nofretete verzichtete und statt- dessen Anspruch auf den Klappaltar erhob.
War das eine bewusste Täuschung, die ausreichen würde, die Rechtsverbindlichkeit der Vereinbarung noch knapp 100 Jahre später in Zweifel zu ziehen? Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz widerspricht dieser These: "Von den herausragenden Stücken - auch von der Büste der Nofretete - lagen Fotografien vor, die die Schönheit und Qualität der Objekte wiedergeben. Zudem standen die Kisten zur Begutachtung der Objekte bereit. Von einer Täuschung bei der Teilung kann keine Rede sein." Lefébvre hätte Nofretete an diesem 20. Januar 1913 ganz sicher eingehend betrachten können. Dass er es nicht tat, dürfte weniger an Borchardt als an seinen eigenen fachlichen Interessen gelegen haben: Lefébvre war Philologe und daher besonders an Inschriften interessiert. Vor allem deshalb dürfte er den Klappaltar spannender gefunden haben als die Büste der Königin.