Selbst für einen TV-Mann gibt es ein Leben außerhalb des Bildschirms: Moderator Dieter Moor lebt auf dem Dorf in einer “arschlochfreien Zone“.
Hirschfelde. Auf der Mauer neben dem Hoftor liegen vier Klauen. Wasserbüffelklauen. Abgehackte Wasserbüffelklauen. Mit Erde dran und dunklen Büffelzottelresten - aber eben ohne Restzottelbüffel. Auf Kuba oder in Brasilien fällt so etwas unter Voodoo-Verdacht. Hier nicht. Hier ist Brandenburg.
"Es gibt Länder, wo richtig was los ist .../ und es gibt Brandenburg ... Brandenburg ...", singt der Kabarettist Rainald Grebe in seiner bösen Ode ans Dunkeldeutschland-Klischee. Unweigerlich hatte sich die Anti-Hymne auf der Fahrt zu Dieter Moor als Ohrwurm eingeschlichen, während die Straßen immer schmaler wurden, das Land immer weiter und der Himmel immer höher. Autobahn, Bundesstraße, Landstraße, zunehmende Holzkreuzdichte in den Alleen. "In Brandenburg, in Brandenburg ist wieder jemand gegen einen Baum gegurkt!/ Was soll man auch machen mit 17, 18 in Brandenburg?" Wo schon das Klischee unbarmherzig ist, tritt die Wirklichkeit am liebsten nach. Die letzte Brandenburg-Meldung mit Glamourfaktor ging so: "Rupert Everett zieht nicht in die Uckermark."
Dieter Moor - Moderator, Schauspieler, kerniges Fernsehgesicht - grinst sein gewohnt schiefes Grinsen, blickt auf die Rindviehfüße, von denen er gerade selbst vergessen hat, was sie da eigentlich auf seiner Mauer machen und winkt lässig ab. Er kennt die Grebe-Hymne, "natürlich, ein YouTube-Renner", und die übrigen Vorurteile kennt er sowieso, seit er vor sechs Jahren aus der Schweizer Postkartenidylle in das märkische Hirschfelde zog. Die konsequente Fortsetzung des Unerwartbaren - das passt zu Moors sonntäglichem Kulturmagazin "Titel, Thesen, Temperamente", der von ihm moderierten Grimme-Preisverleihung oder seiner legendär nischenbewussten Begrüßung "Liebe Zielgruppe" beim längst eingestellten Vox-Medienmagazin "Canale Grande". Denn dieser Hof ("Arbeit macht Arbeit" warnt ein Schild vor der Haustür) ist nicht nur ein Hof. Er ist, O-Ton Moor, eine offiziell "arschlochfreie Zone". Was nur einen Gedanken weiter einiges über das Medienbusiness aussagt. Eine "Zeitvernichtungsmaschine" hat Fernsehmann Moor das Fernsehen einmal ungerührt genannt. Er hingegen funktioniert auch ohne Bildschirmrahmung. Kantiger Kopf, kecke Tolle, vorgeschobenes Kinn. Nick Knatterton für Intellektuelle. Und, ganz unironisch, Biobauer.
Hirschfelde also. Eine knappe Autominute von Ortseingangsschild zu Ortsausgangsschild. Ein Weiher, eine Kirche ohne Dach, ein Maklerschild, auf dem ein Doppelhaus für 25 000 angeboten wird. Nicht Euro. D-Mark. Das Schild steht schon länger. Der Rest auch. Sogar einen kleinen Konsum gibt es, Betonung auf der ersten Silbe, ein Dorfladen, der aus Prinzip keine Frischmilch führt: "Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht." Weil Dieter Moor diese bezwingende Einsicht zwar weniger für Frischmilch, sonst aber für ganze Lebensbereiche gelten lässt, hat er nun auch sein erstes Buch so genannt.
"Geschichten aus der arschlochfreien Zone" erzählt er darin, vom ostigen "krankehundekackefarbenen Verputz", von Verabredungen "zu Mittach" (für den atomuhrengewohnten kleinen Schweizer in ihm eine Tortur der Ungenauigkeit), von Brötchen, die hier "Schrippen" heißen und dem stoischen "Hamwanich-Gesicht" der Konsumfachkraft. Kleine, feine (selbst-)ironische Beobachtungen seiner geradlinigen märkischen Nachbarschaft und eines Schweizer Aliens auf Brandenburger Boden.
Auf dem stapft Dieter Moor in festem Schuhwerk und grüner Allzweckjacke vorbei an dreierlei Haufen (Esel, Schaf, Wasserbüffel). Trotz der Gefahr für einen Ökoromantiker gehalten zu werden, hat er hier den Verein "Alternativen für Zukunft" gegründet. AFZ. Dass der dieselben Initialen hat wie die "arschlochfreie Zone" ist kein Zufall. Es geht ihm um etwas, das länger nachwirkt als eine Pointe. In seiner Branche keine Selbstverständlichkeit. "Ich fühl mich so leer, ich fühl mich Brandenburg", liefert Rainald Grebe aus dem Unterbewusstsein den hämischen Soundtrack zur stillen Novemberkälte. Je mehr Zeit man jedoch mit den Moors in ihrer "arschlochfreien Zone" verbringt, desto bezwingender erscheint diese Leere. Sie lenkt den Blick auf das Wesentliche: in der Umgebung, in den Menschen, in einem selbst.
"Ein Stück Garten Eden", nennt Dieter Moor sein Land heute und beweist dann doch sein Talent zur Inszenierung, als er tatsächlich dem jungen Büffel Gandalf über das strohige Fell streicht, während die anderen Tiere misstrauisch den Fotografen und sein Blitzgerät beäugen. Ein Stück Garten Eden. Kein Pathos liegt darin, bloß eine Feststellung. Vielleicht ist es gar keine Inszenierung.
Die Fernsehbranche vermisse sie "rein gar nicht", sagt Moors Frau Sonja resolut: "Da red ich lieber mit den Kühen, das ist spannender." Sie, die ehemalige TV-Produzentin, ist die eigentliche Bäuerin auf dem Hof, weshalb Tischgespräche mit den Moors sich schnell und leidenschaftlich um Kultur drehen. Um Agri kultur. Die Absurditäten des Mastbetriebs, die "Schönheit des Wiederkäuerverdauungsapparats": "Ein Wunderwerk!"
"Wasserbüffel" steht tatsächlich auf ihrem T-Shirt. Ihr Mann lächelt. Nachsichtig, denkt man im ersten Moment. Stolz, merkt man im nächsten.
Was sie verbindet, die Moors und die Hirschfelder, ist die Vorliebe für die Tat. Nicht lang reden, einfach machen. Nachhaltigkeit schaffen statt "vollgesendete Videokassetten".
So löst sich am Ende auch das Rätsel um die Wasserbüffelklauen. "Mich hat halt interessiert, wie die Tiere von innen aussehen", sagt Sonja Moor, und Dieter Moor macht dazu ein unvergleichliches Da-kannste-mal-sehen-meine-Frau-Gesicht. "Ganz gut, dass die Klauen hier noch nicht rumlagen, als Rainald Grebe zu Besuch war", grummelt er mit sonorer Stimme. Moor hat dem Kabarettisten stattdessen eine Brandenburg-Flagge geschenkt. "Guter Typ", nickt er anerkennend. Rainald Grebe will übrigens auch aufs Land ziehen. Plötzlich gar nicht schwer zu erraten, wohin.