Die Räuber: Nicolas Stemann zeigt Schillers Brüderpaar Franz und Karl Moor am Thalia-Theater als ein männerbündlerisches Kollektiv.

Hamburg. Karl ist feurig, ein Rebell. Franz ist kalt, ein intellektueller Intrigant. Die beiden Brüder in Schillers "Die Räuber" sind die Sturm-und-Drang-Version von Kain und Abel. Denn auch hier neidet der jüngere, Franz, seinem älteren Bruder das Erstgeburtsrecht und die Liebe des Vaters. Doch der zynische Nihilist Franz und der kraftmeierische Anarchist Karl sind zwei Aspekte einer Figur, mit der der blutjunge Schiller in seinem ersten Theaterstück der Welt mit leidenschaftlichem Freiheitsgeist entgegentrat. Zur Tragödie wird hier nicht nur der Konflikt der feindlichen Brüder Moor, sondern der Untergang einer patriarchalischen Welt, die der jungen Generation keine Orientierung geben kann. Grund genug, das Stück wieder auf die Bühne zu bringen, zumal wenn es, wie hier, mit Rockmusik, Videobildern eines brennenden Familienschlosses, das im Liliputformat vorn an der Bühne steht, oder mit in ins Parkett kraxelnden Darstellern garniert wird.

Regisseur Nicolas Stemann, der "Die Räuber" jetzt am Thalia-Theater (in Koproduktion mit den Salzburger Festspielen) herausbrachte, hat sich als Verkörperung von Franz und Karl gleich vier Darsteller ausgesucht, die chorisch Text und auch Regieanweisungen vortragen: Alexander Simon, Felix Knopp, Philipp Hochmair und Daniel Hoevels. Das hat Kraft, auch Witz und treibt die Handlung drängend voran. Doch von Handlung sehen wir eigentlich wenig. Viel wird erzählt, wenig gespielt. Obwohl die Schauspieler hervorragend sind - ihren Darstellungskünsten sind im Kollektiv Grenzen gesetzt.

"Die Räuber" ist ein Ideendrama über soziale Selbstbestimmung und das Scheitern eines Bruchs mit der Konvention. Ein Stimmenorchester, eine Wortmusik, wie sie etwa auch Texte von Elfriede Jelinek erfordern, die Stemann aufregend inszenieren kann ("Ulrike Maria Stuart"). Ein dekonstruktivistischer Regisseur wie er ist gerade richtig, um die intellektuelle Tragödie für ein heutiges Publikum attraktiv zu gestalten. Allein, dies gelingt nicht immer, man muss das Stück kennen, um die anspruchsvolle, zuweilen anstrengende Aufführung genießen und verstehen zu können. Denn die Schauspieler können, bedingt durch das Chorische, keine Entwicklung der Figuren oder Gefühle zeigen.

Beinahe ununterscheidbar lungern vier adrette Jungs in Weste und Schlips zu Beginn vor einer stahlfarbenen Wand, auf der später auch Videobilder erscheinen (Bühne: Stefan Mayer, Kostüme: Ester Bialas) und schreien, skandieren oder bringen locker den Text rüber von der bösen Intrige, mit der Franz seinen Bruder Karl dem Vater aus dem Herzen reißen will. Die Viererbande bombardiert den Zuschauerraum mit Wortkaskaden von "Freiheit!" oder "Ich will alles um mich her ausrotten".

Die Rhetorik des Dramas, die ständig unter Hochdruck steht, korrespondiert mit der männerbündischen Gang, die auch mal rockt: "Stehlen, morden, huren, balgen." Genau jene Typen, die sich auch heute darin gefallen, alles, was anders ist, mit Macho-Gestus zu verachten. Amalia, Karls Liebe, umkreisen die vier verklemmt, bevor sie sich gegenseitig vorschubsen, um nacheinander über sie herzufallen. Maren Eggert spielt Amalia mit zarter Erotik, als eine, die dem Männer-Kollektiv trotzt, aber nicht gewachsen ist. Sie versteht es hinreißend, Amalias Gefühlswelt lebendig werden zu lassen.

Als Gegensatz zum virilen, gewalttätigen Jungmänner-Kollektiv spielt Christoph Bantzer den alten Moor im historischen Kostüm als schwaches Individuum, dem bitter Unrecht geschieht. Ebenso Hüter der guten alten Ordnung sind der Diener (Peter Maertens) und seine Gefährtin (Katharina Matz): schrullige Vertreter des Überkommenen.

Am Ende verläppert der energiegeladene Abend in Tod und Freitod. Die Frauen und Alten sind die Opfer. Ebenso einer der Franz/Karls, der von den drei anderen aufgehängt wird. Räuberhauptmann Karl stellt sich nicht der Justiz, und kein versöhnlich letzter Satz ("Dem Mann kann geholfen werden") fällt. Übrig bleiben ein Schlachtfeld und Ratlosigkeit. Aber genau das ist wohl ein Sinnbild unserer Zeit.