In ihrem Buch “Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“ streitet die Juristin Seyran Ates gegen „Jungfrauenwahn“ und Geschlechtertrennung.

Berlin. Ihre Kanzlei hat die Berliner Anwältin und Autorin Seyran Ates geschlossen – aus Angst vor gewalttätigen türkischen Männern.

Von den einen für ihre Zivilcourage bewundert, von anderen als Islamkritikerin und Nestbeschmutzerin beschimpft und verfolgt, lässt die 1963 in Istanbul geborene und seit vierzig Jahren in Deutschland lebende Ates dennoch nicht nach, sich für die Rechte der muslimischen Frauen einzusetzen.

In ihrem neuen Buch, der Streitschrift „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“, zieht die streitbare Juristin gegen „Jungfrauenwahn“, Geschlechtertrennung, religiöse Sittenpolizei, Schleierzwang und Zwangsehe, Gewalt und die Rückschrittlichkeit islamischen Fanatismus zu Felde. Gleichzeitig fordert sie die islamische Welt auf, universelle Werte, wie Freiheit, Demokratie und Toleranz anzuerkennen. Denn Islam und Modernität widersprächen sich keineswegs.

Wie einst Alice Schwarzer unbeeindruckt von Anfeindungen für die Gleichberechtigung der Frauen in Deutschland eingetreten ist, so hat sich Ates die Emanzipation der Musliminnen auf die Fahnen geschrieben. Aufgewachsen in einer „eher prüden, sexualfeindlichen, auf die Ehre bedachten türkischen Sippe“ vertritt sie die Ansicht, „dass es sich beim Thema Sexualität um die tiefste Kluft zwischen der muslimischen und der westlichen Welt handelt“.

Im Detail zählt Ates die verhängnisvollen Auswirkungen einer auf Verboten beruhenden Auslegung des Korans auf. Vor allem der „Kult um das Hymen“, die Entjungferung, stürze unzählige Frauen in schwere, manchmal sogar lebensbedrohliche Konflikte. Sie prangert die Frauenverachtung religiöser Sittenwächter an und zitiert dabei aus Gesprächen mit Muslimen und aus Schriften muslimischer Theoretiker und Imame.

Ates versäumt auch nicht, daran zu erinnern, dass die Rechte der Frauen in den westlichen Gesellschaften ebenfalls beschnitten waren und sind. Allerdings habe der Westen die sexuelle Revolution der 1960er Jahre erlebt und sei weiter. Die Autorin sieht nicht nur die muslimischen Frauen, sondern auch die muslimischen Männer unter einem enormen Druck: „Männlichkeitswahn“ und sexuelle Fremdbestimmung förderten deren Gewaltbereitschaft.

Dezidiert ist auch die Antwort der Frauenrechtlerin auf die Frage der Verschleierung: Für Ates ist das Kopftuch ein Symbol der Unterordnung der Frau unter den Mann, „also das Gegenteil von Freiheit“. Ebenso wie im Westen die Frau zum nackten Objekt in der Werbung herab gewürdigt werde, lade die Verhüllung der Frau die Atmosphäre sexuell auf. Dabei lässt die Autorin nicht gelten, dass sich viele junge Frauen bewusst für das Kopftuch entscheiden.

Das Buch gipfelt in einem Appell an die aufgeklärten Muslime, sich zu Wort zu melden und zu organisieren. „Ich bin optimistisch, wenn die Gesellschaft endlich Zivilcourage zeigt“, sagte Ates jüngst in einem Interview. Dabei sei die Aufmerksamkeit nicht nur auf fundamentalistische Männer zu lenken, sondern auch auf Frauen, „die sich an der Seite der Männer für ihre eigene Unterdrückung stark machen.“ Man mag Seyran Ates ein gewisses Maß Überheblichkeit vorwerfen, Feigheit sicher nicht.

Seyran Ates: Der Islam braucht eine sexuelle Revolution. Eine Streitschrift Ullstein Verlag, Berlin, 199 Seiten, m. Anh., Euro 19,90 ISBN 978-3-5500-8758-5