BERLIN. Nach dem Urteil im Berliner "Ehrenmord"-Prozeß ist die Ankündigung der türkischen Familie auf Empörung gestoßen, das Sorgerecht für den Sohn der Erschossenen zu beantragen. Angeblich will die Schwester der Ermordeten das Sorgerecht für den Sohn beantragen. Das Kind hat bisher bei Pflegeeltern gelebt. Bis zum Urteil war der Familie jeder Umgang mit dem Jungen untersagt gewesen.
Über einen Sorgerechtsantrag müßte ein Familiengericht entscheiden. Die auf Familien- und Strafrecht spezialisierte Anwältin Seyran Ates äußerte Zweifel, daß die Schwester das Sorgerecht erhält, "außer sie findet einen Richter, der eine solch absurde Entscheidung trifft".
Unterdessen streiten Politiker über härtere Strafen für Zwangsverheiratungen. Der Unions-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach forderte deren Einstufung als Verbrechen. Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sprach von "aktionistischen Forderungen". Zwangsehen seien in Deutschland schon heute strafbar.
Im "Ehrenmord"-Prozeß war am Donnerstag Hatun Sürücüs jüngster Bruder zu neun Jahren und drei Monaten Jugendhaft verurteilt worden. Zwei andere Brüder wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Nach Einschätzung der Richter mußte die junge Frau wegen ihres westlichen Lebensstils sterben. Die 23jährige war aus einer Zwangsehe geflohen, um in Berlin ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu führen.
Bosbach sagte, ein Extra-Paragraph zu Zwangsverheiratungen hätte auch Signalwirkung. Leutheusser-Schnarrenberger sprach von "Sandkastenspielen". Die Probleme lägen in der Praxis. "Auch ein schärferes Gesetz würde nicht helfen, in abgeschottete Parallelgesellschaften hineinzukommen."
Die Grünen forderten ein "Opferschutzprogramm mit einem erleichterten Zugang zum Aufenthaltsrecht für die Opfer von Zwangsehen". Der Innenpolitiker der Fraktion, Volker Beck, nannte es wichtiger, daß Migranten Zwangsehen generell als Unrecht begriffen.
In Berlin äußerten sich Politiker empört über die Freisprüche für zwei der drei "Ehrenmord"-Angeklagten. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) forderte die Familie indirekt auf, Deutschland zu verlassen.