Dror Zahavi verfilmte das Leben des Literatur-Kritikers. Der Regisseur über die Schwierigkeiten, das Ghetto zu inszenieren, und die Liebe zu Büchern.

Hamburg. Wenige Tage bevor der Film "Mein Leben - Marcel Reich-Ranicki" heute im Ersten zu sehen sein wird, konnte sich Arte über sehr gute Quoten freuen. 910 000 Zuschauer in Deutschland sahen an Karfreitag die Verfilmung der Autobiografie des Literaturkritikers, das entsprach einem Marktanteil von 3,2 Prozent. Der durchschnittliche Marktanteil des deutsch-französischen Kultursenders liegt in diesem Jahr bei knapp1 Prozent.

Dror Zahavi hat die Lebensgeschichte von Marcel Reich-Ranicki verfilmt. Der israelische Film- und Fernsehregisseur hat in Berlin studiert und war mit seinem Abschlussfilm für einen Studenten-Oscar nominiert. Mit dem Bayerischen und dem Deutschen Filmpreis wurde er ebenso ausgezeichnet wie mit der Goldenen Kamera. Zu seinen bekanntesten Werken zählen die TV-Produktion "Die Luftbrücke" und der Kinofilm "Alles für meinen Vater". Wir sprachen mit ihm über seinen Film "Mein Leben", den er nach dem Drehbuch von Michael Gutmann gedreht hat und der die ersten 38 Jahre des späteren "Literaturpapstes" umfasst.


Hamburger Abendblatt:

Wie verfilmt man die Lebensgeschichte von einem Menschen, der sich den Film noch angucken kann?

Dror Zahavi:

Es ist sehr, sehr schwer, einen Film über eine Persönlichkeit zu machen, die noch lebt. Anfangs hat mich diese Verantwortung beengt. Ich war eine Woche vor Drehbeginn mit Matthias Schweighöfer und Katharina Schüttler bei Marcel Reich-Ranicki, und wir hatten ein sehr schönes Gespräch. Wir sind viel länger geblieben als beabsichtigt. Zum Schluss habe ich ihn gebeten: "Was ist das Wichtigste, das Sie mir mitgeben können für diesen Film?" Er hat mich dann angeschaut und gesagt: "Alles, was Sie sich vorstellen können über die Schrecklichkeiten im Ghetto und in meinem damaligen Leben. Es war schlimmer." Diesen Satz hab ich mir bei Drehen gemerkt. Ich konnte mir vorstellen, was er meint, und das hat die gesamte Machart des Filmes beherrscht.



Abendblatt:

Aber solche Gräuel sind nicht darstellbar. Was haben Sie stattdessen gemacht?

Zahavi:

Es gab zwei Möglichkeiten, das Thema zu behandeln. Es realistisch zu versuchen wie etwa Roman Polanski in "Der Pianist". Aber diesen Film gibt es schon, und er wäre mit unseren Mitteln auch nicht zu machen gewesen. So habe ich mich für eine poetische Art des Erzählens entschieden, das heißt, ich inszeniere nicht das Schlimme, weil ich daran zweifle, ob wir uns das vorstellen können. Ich integriere Dokumentarmaterial aus dem Warschauer Ghetto. Ich habe mich dagegen entschieden, offensichtliche Gewalt zu zeigen. Ich lasse das Schreckliche im Kopf der Zuschauer passieren.



Abendblatt:

Wie stellt man das her?

Zahavi:

Ein Beispiel: Auf dem Weg zum Umschlagplatz im Warschauer Ghetto, kurz vor der Deportation von Marcel Reich-Ranicki und seiner Frau Tosia sieht man eine Bekanntmachung im Wind flattern, Leichen auf der Straße liegen. Man sieht einen toten Juden mit seiner Geige im Arm, die Beine einer gehenkten Frau und ein einsames kleines Kind. Dann ein Schuss, und durch diesen Schuss wachen die Reich-Ranickis auf und fliehen in letzter Sekunde.



Abendblatt:

Aber diese Lebensgeschichte geht natürlich über das Ghetto hinaus. Sie erzählt von einem Mann, der sich durch alle Zeiten mithilfe der Literatur gerettet hat.

Zahavi:

Ja, das ist der rote Faden durch den Film. Ich hoffe, dass er es schafft, ebenso emotional zu fesseln wie das Buch.



Abendblatt:

Reich-Ranicki ist nach seiner Flucht aus dem Warschauer Ghetto von Polen versteckt worden, denen er allabendlich Romane und Theaterstücke aus der Weltliteratur erzählt hat. Dafür gab's dann ein paar verschrumpelte Möhren. So hat er überlebt.

Zahavi:

Ja, das ist ein zentrales Thema im Film. Aber auch, dass er in der Schule drangsaliert worden ist, bis er zum Literaturexperten wurde. Und die Flucht mit seiner Frau wurde möglich, weil sie sich beide im rechten Zeitpunkt zuriefen: Denkst du auch an die Dostojewski-Episode? Das war das Signal zur Flucht.



Abendblatt:

Was haben Sie mit Marcel Reich-Ranicki in den Vorgesprächen besprochen?

Zahavi:

Er hat mir vollkommen freie Hand gelassen. Er war ein Berater in manchen Fragen, beispielsweise, wenn ich ihn angerufen und gefragt habe, ob sie damals unten im Keller Schuhe hatten. Er war sehr hilfsbereit und sehr uneitel. Er hat nie versucht, den Lauf der Dinge oder die Erzählweise zu beeinflussen. Er hat mir alles sehr leicht gemacht. Diese Haltung wünschte ich mir von anderen Redakteuren beim Deutschen Fernsehen.



Das Erste zeigt heute um 20.15 Uhr Dror Zahavis TV-Biografie "Mein Leben" mit Matthias Schweighöfer in der Rolle des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki. "Eine Begegnung mit Marcel Reich-Ranicki" folgt um 21.45 Uhr.