Sie ist jung, schön und selbstbewusst. Um Elina Garanca reißen sich die Bühnen. Ein Gespräch über magische Momente, Sänger-Doping und Tele-Coaching.
Düsseldorf. Elina Garanca ist bester Laune und will spielen. In einem weißgrauen Konferenzraum am Flughafen Düsseldorf, mit tristem Ausblick auf das Schmuddelwetter, strahlt sie aus der Ecke am Fenster: "Ahhh, hier kommt mein erstes Opfer!" Selbst gesprochen nimmt sie gefangen, diese angedunkelte, warme Stimme, die ihre Kritiker um jeden Finger wickelt: Sie attestieren der in Lettland geborenen Mezzosopranistin leidenschaftliche Schwüle, Anmut, Kraft, höchste Präzision, dezentes Tremolo, Glanz in dunkel leuchtenden Farben, makellose Übergänge, hauchzartes Pianissimo, Glanz, obertonreiches Piano, emotionale Macht. Noch bevor man zu sehr ins Schwärmen gerät, setzt die Sängerin nach: "Welche Fragen darf ich Ihnen stellen?" Moment mal, das ist jetzt aber mein Part...
Abendblatt: Frau Garanca, Sie haben zum erstenmal als kleines Kind auf der Bühne gestanden. Was für ein Gefühl haben Sie, wenn Sie sich daran erinnern?
Elina Garanca: Erst mal war es der Zauber der Verwandlung. Da kommt jemand in Jeans und Pulli und ist in einer halben Stunde ein Prinzessin mit Krönchen und allem. Und auf der Bühne war es aufregend, Adrenalin bis man einsetzt. Das Herz rast dann viermal so schnell, und man hat einen etwas euphorischen Zustand. Danach gleich das Gefühl, der Aufmerksamkeit und der Kommunikation. Auch heute noch fühle ich: mit dem Singen, der Stimme und mit dem, was du erzählst, kannst du die Leute bewegen. Du wirst sie traurig machen oder glücklich oder lustig. Die gegenseitige Aufmerksamkeit, man erzählt, und man wird gehört.
Abendblatt: Wie spüren Sie diese Aufmerksamkeit von der Bühne herunter? Sehen kann man da nicht viel vom Zuschauerraum.
Garanca: Es ist die Stille, die Vibrationen, die dort entstehen. Wenn man eine Arie singt bevor man mit der nächsten Phrase anfängt, gibt es zwei, drei Sekunden, wo ich einatmen muss, und in diesen Sekunden sucht keiner was in seiner Tasche, keiner redet, keiner niest oder hustet man hat einen Moment der Stille, Konzentration und Spannung. Das ist für mich die größte Droge.
Abendblatt: Wann haben Sie zum erstenmal bemerkt, dass Sie etwas ganz besonderes können? Hat es irgendwann "Klick" gemacht?
Garanca: Nein. Inzwischen hab ich eine Verstetigung in dem Gefühl, dass das, was ich am meisten mag, auch den anderen viel Freude bereitet. Aber als Student ist man so verzweifelt, die richtige Technik zu finden, dass man überhaupt nicht begreift: Habe ich nun eine Jahrhundertstimme oder nur einen kleinen Piepser? Es ist für mich ja auch immer noch ein Rätsel, warum manche Karriere machen, andere machen keine. Sehr oft, wie damals in Meiningen, hab ich erlebt, dass tolle Sänger mit Superstimmen, die in dieser Zeit noch viel besser waren als ich, noch ein Stückchen höher kommen, aber das war’s dann. Ich glaube, das ist auch ein Zufall was die Medien, was die Zuschauer, die Leute suchen. Der eine wird’s dann, weil er eine schöne Nase hat, die andere hat gerade einen tollen Mann geheiratet ich weiß es nicht.
Abendblatt: Alles nur Zufall?
Garanca: Wissen Sie: Ich war beim Belvedere-Wettbewerb, und wäre Christine Mielitz (damals Intendantin des Theaters Meinigen, d. Red.) nicht dort gewesen, oder hätte mein Zug Verspätung gehabt, hätte Sie mich da nicht gehört, und ich wäre nie nach Meiningen gekommen und so weiter. Ist das jetzt Zufall? Dass ich mit einer großen Stimme geboren bin, dafür bin ich sehr dankbar. Aber hätte ich mich für etwas anderes begeistert, wäre meine Stimme einfach geblieben, und ich wäre vielleicht heute Anwältin.
Abendblatt: Manchmal ist es doch mehr als nur die Nase. Sie sind eine schöne Frau. Erleichtert Ihnen dieser Bonus Leben und Arbeit, oder setzt er Sie auch mal unter Druck zu beweisen, dass es eben doch Ihr Können ist?
Garanca: Unter Druck nicht, aber es nervt mich manchmal, dieses Blauäugige-Katze-Pipapo ... Und ich denke: Reden wir doch über mein Konzert oder meine Aufnahme. Wieso kritisiert Ihr nicht meinen Gesang oder meine Aussprache? Auch wenn ich auf die Bühne gehe und mir zittert eigentlich das Herz, ob mein erster Einsatz richtig kommt oder nicht und dann hört man im Publikum schon vorher so ein leises Raunen ... aber ich kann da nix ändern.
Abendblatt: Können Sie das ausblenden?
Garanca: Wissen Sie, wenn ich vor dem Spiegel stehe, gerade morgens nach dem Aufstehen, dann seh ich doch etwas anders aus als auf den Hochglanzfotos ich nehme mich selber ja nicht als schön wahr.
Abendblatt: Hatten Sie schon mal Angst, dass Ihre Karriere mal einen Knick bekommt, wenn Sie die ersten Fältchen haben?
Garanca: Och, die hab ich schon längst ...
Abendblatt: ... aber nur beim Lachen ...
Garanca: Eine alte deutsche Schauspielerin hat einmal gesagt: Schaun Sie mich an, ich habe mein Leben lang alle meine Falten hart erlacht und erarbeitet. Also, ich nehm das ganz locker.
Abendblatt: Aber mit Ihrem Äußeren wird schon ein erheblicher Marketingaufwand betrieben.
Garanca: Ich fühle mich nicht als Werbefigur, und selbst in Frauenzeitschriften erscheinen die meisten Geschichten und Interviews doch noch eher in den kleinen Kulturecken.
Abendblatt: Haben Sie Werbeverträge?
Garanca: Nein, ich habe keine. Ich arbeite mit Escada zusammen, ich profitiere davon, weil ich die Kleider habe, die profitieren auch davon. Aber ich werde dafür nicht bezahlt. Es gibt keine solche Anfragen wie "Wollen Sie Werbung für unsere Taschen machen?". Wahrscheinlich bin ich für die zu sehr die kühle Blonde.
Abendblatt: Ihr Mann, Karel Mark Chichon, ist Dirigent und leitet in Hamburg das Orchester, das Sie begleitet. Wie können Sie beide damit umgehen, dass Sie im Augenblick zur internationalen Sängerin aufgebaut werden? Ist das manchmal schwierig? Wie viel Platz bleibt da für die Kunst und Sorgen des anderen?
Garanca: Er ist auf dem besten Weg, ebenfalls in die oberste Liga zu kommen. Er ist ein sehr guter Dirigent. Sehen Sie, ein Dirigent wird richtig wertvoll ab 45, 50 Jahren. Das wird die Zeit sein, wo ich mit meiner Stimme schon nach unten schauen muss. Er ist dann gerade im guten Rennen. Außerdem kennt er meine Stimme so gut wie kein anderer, in einer Tournee wie dieser mit sechs Konzerten bin ich in besten Händen und er begleitet mich besser als jeder andere. Und dass er im Augenblick noch nicht unter den Top-Top-Top-Dirigenten ist, hilft auch unserer Beziehung, denn ich bin so wahnsinnig viel unterwegs wenn er dann auch noch so viel reisen müsste, wäre unsere Beziehung vermutlich im Eimer. Wir würden uns nämlich nicht mehr sehen. Zwischen uns gibt es keinen Wettbewerb oder Eifersucht. Und vor allem: Ich hätte doch bestimmt keinen schlechten Dirigenten geheiratet...
Abendblatt: Reden Sie beim Frühstück mit Ihrem Mann über Musik?
Garanca: Wenn wir zusammen frühstücken: nein außer, wir müssen gleich zur Probe. Zu Hause reden wir eigentlich grundsätzlich nicht über Musik.
Abendblatt: Man liest, Sie hören auch keine Musik zu Hause ...
Garanca: Nur auf dem iPod, mit Kopfhörer. Ich respektiere Stille, und singe auch zu Hause nicht, wegen der Nachbarn. Das ist ja auch ganz schön, wenn man nach sieben, acht Stunden Probe nach Hause kommt, da hat man Stille.
Abendblatt: Ihre Kollegin Anna Netrebko hat es gewagt, in ihrem Kalender auch noch eine Familie samt Kind unterzubringen. Sehen Sie eine Chance, sich diesen Freiraum irgendwann mal nehmen zu können?
Garanca: Na sicher, das war schon immer klar. Wenn das Kind erst mal da ist, wird auch die Zeit dafür da sein. Dass ich eine richtige Familie haben will, war mir schon mit 19 klar, als ich angefangen habe zu singen.
Abendblatt: Wie viele Auftritte stehen pro Jahr in Ihrem Kalender?
Garanca: Bis zum Ende dieses Jahres ist es etwas viel ich glaube 55 bis 60. Ideal wären um die 45.
Abendblatt: Und wie verteilt sich das zwischen Oper und Konzert?
Garanca: Ich unterteile die Konzerte ja noch mal in zwei Gruppen: große Gala-Konzerte und "Heilige-Kunst-Konzerte" unter 15 Konzerten sind nur drei bis vier Galas.
Abendblatt: Ein klarer Vorteil für die Oper. Wieviele Partien haben Sie denn im Repertoire?
Garanca: Über dreißig.
Abendblatt: Eine für jedes Lebensjahr ... obwohl Sie sagen, eine neue Partie pro Jahr sei genug, wenn man sie wirklich gut zu machen will?
Garanca: Stimmt. Ich fange eine neue Partie immer ein bis eineinhalb Jahre vorher an wenn es eine ist, die ich noch nicht kenne. Dann nehme ich mir ungefähr zwei Wochen bis einen Monat und arbeite mit mir selber ich kann ja Klavier spielen. Und sehe: Was sind die Schwierigkeiten? Dann sage ich zu oder nicht. Weil wir so weit im voraus alles abschließen mit den Theatern, kann ich auch so rechtzeitig anfangen. Ein gutes Gefühl.
Abendblatt: Welche Rolle spielt beim Einstudieren Ihr iPod?
Garanca: Wenn ich eine Oper gar nicht kenne, dann höre ich mir eine Aufnahme an, mit Klavierauszug und Bleistift. Ich notiere dann: Was sind die schwierigsten Stellen? Ich kenne meine Stimme ja ziemlich gut. Der iPod, der funktioniert dann sehr gut zum Auswendiglernen. Im Auto, im Flugzeug. Ich kann ja nicht überall alle Klavierauszüge mitschleppen. Manche fragen mich, ob ich dann nicht zu sehr die Aufnahme kopiere oder nachmache. Aber ich meine, dass wenn ich selber anfange zu singen, suchen sich Stimme, Atem und Körper einen eigenen Weg von alleine.
Abendblatt: Was haben Sie denn noch so auf Ihrem iPod?
Garanca: Ich habe Meeresmusik mit einer Flöte, mit Wellenrauschen und Vögelchen und so weiter ... ein bisschen peruanisch, 15 Minuten fürs Einschlafen. Was hab ich noch? Barbra Streisand zum Beispiel, ich habe Instrumentalmusik. Ich mag ganz gerne Gitarre, auch George Michael oder Michael Jackson für die Fitness im Hotel.
Abendblatt: Wo Sie gerade Barbra Streisand sagen: Ist Musical für Sie ein Thema?
Garanca: Doch, ja. Ich wollte ja eigentlich Musicalschauspielerin und -sängerin werden, die Ausbildung war aber damals in Lettland nicht möglich. Ich hätte das damals im Ausland, in Skandinavien zum Beispiel, tun können. Das war die Zeit, wo unser Land die Unabhängigkeit bekam und die Sowjetunion zusammenbrach meine Eltern hatten einfach Angst, mich alleine irgendwo hinzuschicken. Aber ich habe immer noch ein kleinen Traum, vielleicht eine Platte aufzunehmen oder ein Musical einfach für mich mitzumachen. Aber da werdet ihr Kritiker mich fertigmachen: Jetzt macht die Garanca auch Crossover ...
Abendblatt: Das müssten aber sehr engstirnige Kollegen sein ... Garanca: Es ist ein wahnsinnig schweres Genre mit ganz großer Musik und enormen Ansprüchen an den Körper mit Singen, Spielen und Tanzen. Das kommt in einer Oper so nie vor würde ich wahnsinnig gern mal machen.
Abendblatt: Welche Farben und Facetten Ihrer Stimme polieren Sie im Augenblick, wenn Sie üben?
Garanca: Die Mittellage. Dass sie resonant ist und dass man mit der aktuellen Stimmgröße auch durch ein dickeres Orchester durchkommen kann. Die Mittellage, das wird jeder Mezzosopran bestätigen, ist immer am schwierigsten. Die Höhen kommen immer, die Mitte kann schnell verblassen. Ein bisschen mehr Biss in der Mittellage ...
Abendblatt: Gibt es bei Sängern einen Zusammenhang zwischen dem privaten Charakter und der Singstimme?
Garanca: Wahrscheinlich auch wenn ich im Idealfall auf der Bühne ja nicht mich darstellen sollte, sondern den Charakter, den ich gerade in dieser Oper singe. Die Wahrheit ist aber, dass ich gewisse Emotionen in der Oper ja nur so interpretieren kann, wie ich sie verstehe und vielleicht auch erlebt haben. Ich muss zwar nicht, wenn ich eine Mörderin spiele, jemanden ermordet haben. Aber die innere Welt Verzweiflung, Liebe, Hass, Dramatik, Melancholie die kommen von den Erlebnissen im Alltag. Es gibt, wie bei jedem, mehrere Seiten der Persönlichkeit, die in mir leben. Zum Beispiel sollte das Kind im Erwachsenen nie verloren gehen.
Abendblatt: Und diese verschiedenen Seiten pflegen Sie und holen Sie je nach Rolle nach vorn.
Garanca: Genau. Deshalb ist es mir wahnsinnig wichtig, mit dem Regisseur zu arbeiten. Und bei den Proben frage ich immer: Warum? Warum? Warum? Das gibt mir dann eine Richtung, mich weiterzuentwickeln. Und an Punkten, wo ich das noch nicht verstanden habe, suche ich in Filmen mit tollen Schauspielern, Robert de Niro oder Meryl Streep zum Beispiel, wie sie mit solchen Situationen umgehen würden. Oder ich fantasiere einfach, sehr oft, beim Bügeln, gehe ich durch die Szenen, immer wieder, und frage mich: Wie wär’s, wenn du so oder so reagierst. Und manchmal geht plötzlich eine Lampe an, mitten in der Nacht wache ich auf und denke: Jetzt hast du es verstanden.
Abendblatt: Haben Sie dafür einen Notizblock auf dem Nachttisch?
Garanca: Nein. Wenn so etwas gekommen ist, das bleibt.
Abendblatt: Eine Lieblingsbeschäftigung von Kritikern ist es, über die Entwicklung Ihrer Stimme in der Zukunft zu spekulieren: tiefer, höher, dramatischer, lyrischer da ist alles dabei. Was wünschen Sie sich?
Garanca: Etwas dramatischer, etwas dunkler. Ich wünsche mir aber, dass die Höhe, die ich jetzt habe, nicht verloren geht. Für mich als Mezzosopran, als lyrischer Mezzosopran zurzeit, wünsche ich mir, dass ich in das dramatischere Fach hineinwachse.
Abendblatt: Sie möchten sich gar nicht nur in die Höhe entwickeln wie viele Ihrer Mezzo-Kolleginnen.
Garanca: Von denen haben mir viele erzählt, dass es sehr anstrengend ist, die Mittellage in Ordnung zu halten. Und es ist viel leichter, die Stimme etwas nach oben zu arbeiten. Ich glaube aber: Wir sind mit einem bestimmten Apparat geboren und Anstrengungen für etwas zu machen, das nicht so richtig passt, verkürzt das Leben.
Abendblatt: Die Mezzos haben ja oft auch bessere, spannendere, komplexere Rollen als die Soprane.
Garanca: Find ich schon. Bei den Sopranen haben Sie das Koloraturfach: Königin der Nacht, Adele, Constanze. Dann kommen die Lucias, Traviatas. Und irgendwann die großen Rollen: die Toscas und Aidas. Beim Mezzosopran aber kann man bei Händel anfangen bei Männerpartien, bis man dann über Cenerentola und Charlotte und Carmen beim großen Verdi-Fach ankommt Ulrica im "Maskenball" oder Amneris. Man hat dazwischen viel unterschiedlichere Stationen.
Abendblatt: Und auf welche Rollen bereiten Sie sich derzeit vor?
Garanca: In der nächsten Wochen fangen wir an mit den Proben zu Bellinis "I Capuleti i Montecchi" an, was wir ja mit Anna Netrebko aufgenommen haben, da bin ich der Romeo. Das werde ich in London zum erstenmal szenisch auf der Bühne machen. So tolle Musik und eine Partie, die ich nie ohne Tränen bis zum Ende anhören kann. Dann die Giovanna aus Donizettis "Anna Bolena", die ich vor fast zehn Jahren zum letzten Mal gesungen habe. Darauf freue ich mich wahnsinnig, denn ich glaube, der Belcanto passt sehr gut zu meiner Stimme. Und dann natürlich die "Carmen", die wir 2010 in Wien machen, mit der ich aber im Sommer schon in Rom in den Caracalla-Thermen anfange, und dann in Covent Garden in London.
Abendblatt: Haben Sie auch Fernziele? Was wollen Sie in zehn Jahren unbedingt gesungen haben oder singen können?
Garanca: Die Amneris. Vielleicht auch die Santuzza in "Cavalleria rusticana". Und dann spiele ich auch noch mit so einem kleinen Traum, der wahrscheinlich nie wahr wird: Ich würde gern in einem Konzert die Tosca singen, auch wenn das eine Sopran-Partie ist. Ich würde das nie auf der Bühne singen, aber im Konzert kann man das viel besser kotrollieren und danach werde ich wahrscheinlich zwei Monate beim HNO-Arzt sitzen.
Abendblatt: Und in Bayreuth gibt es keine Rollen, die Sie interessieren?
Garanca: Na ja, mit dem Älterwerden wird die Entfernung dahin kürzer. Es gibt bei Wagner schon Stellen, die wahnsinnig toll sind. Die sind dann 15 oder 20 Minuten lang. Aber dann kommen wieder lange Lücken, wo ich die Musik zwar genieße, aber ich kann damit nicht viel anfangen. Wagner ist für mich fast eine der letzten Stationen, zu denen ich mich stimmlich entwickle.
Abendblatt: Gibt es bei ihm eine Traumrolle, von der Sie sagen: Wenn schon, dann diese?
Garanca: Ich hab mich damit, glaube ich, noch nicht richtig auseinandergesetzt. Die Leute sprechen über die Brangäne in "Tristan und Isolde". Aber ich habe mich in dieses Fach noch nicht so richtig eingehört.
Abendblatt: Wer sind bei dieser Entwicklung Ihre engsten Berater?
Garanca: Meine Gesangslehrerin, rein stimmlich. Auch mein Mann, weil er als Dirigent sehr gut weiß, wie das alles funktioniert. Und auch einzelne Leute in meinem Management und meiner Plattengesellschaft. Aber am Ende entscheide ich selber.
Abendblatt: Welche Rolle spielt Ihre Mutter, die als Sängerin und Stimmbildnerin ja auch vom Fach ist?
Garanca: Sie lebt in Lettland. Jetzt, wo ich wieder nach Lettland ziehe, wird es wahrscheinlich wieder intensiver werden. Wir telefonieren fast täglich ...
Abendblatt: Wie hoch ist ihre Handy-Rechnung?
Garanca: Hoch. Aber mit den modernen Techniken wie Skype oder VoIP Buster spar man ein Menge. Zum Beispiel, wenn Konzerte oder Opern live übertragen werden, dann ruf ich meine Mutter in der Pause in Lettland an, und frage: Wie war’s dann gibt’s eine Kurzkritik und ein paar Ratschläge für den zweiten Akt ...
Abendblatt: Tele-Coaching ...
Garanca: Ja, und dann ruf ich in der zweiten Pause an und höre: Das war schon viel besser.
Abendblatt: Wenn man als Sängerin so sehr im medialen Rampenlicht steht: Ist dann der Druck zur Perfektion noch größer als in einer Zeit, in der das noch nicht so war?
Garanca(lacht): Ich würde sagen: andersrum. Einem berühmteren Kollegen wird viel mehr vergeben, der hat sich ja bewiesen, und wenn der mal einen schlechteren Tag hat, kann man das verstehen. Aber man erwartet alle Entwicklungen, von einer Rolle zur anderen, schneller als bei anderen Sängern. Irgendwann ist das dann wirklich doppelt so hart.
Abendblatt: Und für Absagen werden Sie geprügelt, wie für Ihre Absage 2007 in Salzburg.
Garanca: Ach, das war ungerecht ich hatte ja schon im Februar abgesagt, und dann wurde das im August noch mal so richtig hochgekocht. Das war wohl eher ein Presse-Gag als ob das eine Absage in letzter Minute gewesen wäre.
Abendblatt: In der absoluten Hochleistungsmusik gibt es jetzt eine öffentliche Diskussion darüber, dass manche Kollegen das nur noch mit diversen Arten von Doping aushalten.
Garanca: Ich glaube schon, dass wir ein paar Vitamine mehr nehmen als normale Menschen, durch das Reisen. Ich würde das nicht Doping nennen, außer wenn sich jemand für Cortison entscheidet, was ich tödlich finde für die Stimme. Ich kenne aber Sänger, die sich ab und zu durch Alkohol entspannen.
Abendblatt: ... und Beta-Blocker nehmen gegen das Lampenfieber.
Garanca: Das weiß ich nicht. Als Doping würde ich es bezeichnen, wenn jemand gar keine Vorstellung mehr ohne Medikamente singen kann. Klar, braucht man manchmal mehr Vitamine, aber wir ernähren uns ja auch gesünder, nicht täglich Pommes oder Kebab.
Abendblatt: Und "Doping" durch Meditation?
Garanca: Ist mir einfach zu langweilig, eine halbe Stunde zu sitzen, um mich zu entspannen. Also da geh ich lieber ein bisschen spazieren oder lese.
Abendblatt: Wie kriegen Sie es hin, dass dieser Glamour-Teil der Arbeit, dass die Konzentration auf das Singen nicht behindert?
Garanca: Ich habe gelernt: Wenn man arbeitet und singt, dann sollte man dazwischen einfach keine Promotion machen für eine Platte oder so. Aber es ist ja auch ein Teil meines Berufes, ich mache es jetzt hochkonzentriert wegen der neuen CD und der Tournee im März, aber in anderen Monaten will keiner was von mir.
Abendblatt: Wer ist der Mastermind hinter Ihren CD-Veröffentlichungen sind Sie das selber?
Garanca: Eigentlich ich aber wieder mit Beratung, von der Deutschen Grammophon und von Dirigenten. Das ist immer ein langer Prozess. Ich probiere das Repertoire immer auch in Konzerten vorher auf. Ich schaue, was die Kolleginnen aufgenommen haben, und was ich im Kalender habe. Es muss etwas Neues sein, und man muss an das Marketing denken. Und bringt es mich weiter in Richtungen, in die ich mich entwickeln will. Dabei entdeckt man auch viel neues Repertoire, und ich habe das Glück, mit meinem Namen und der Deutschen Grammophon auch unbekanntere Sachen produzieren zu dürfen.
Abendblatt: Es sind auf den CDs ja nur einzelne Arien oder kleinere Häppchen aus Opern sind Sie da nicht manchmal traurig, weil dabei viele Facetten der Rollen und Figuren wegfallen müssen?
Garanca: Gerade bei "Belcanto" hat man ja eine kleine Renaissance die Anna Bolena wird ja an vielen Orten jetzt gespielt werden, in Barcelona, in Covent Garden, in Wien. Die "Capuleti" in Berlin und London das balanciert sich für mich aus mit dem, was ich auf der Bühne mache. Andere Stücke werde aber nie eine Chance auf der Bühne haben. Eine Oper wie "Maria Stuarda" wird demnächst in der Metropolitan Opera aufgeführt. Und manchmal ist es wirklich nur für die Platte aber deswegen ist ja auch eine Platte.
Abendblatt: Sie sind auf der ganzen Welt zu Hause. Wo haben Sie eigentlich Ihre Heimatstation?
Garanca: Bisher in Wien, da haben wir immer alles umgetauscht und gewaschen. Jetzt ziehe ich wieder nach Lettland, nach Riga, wo meine Eltern und mein Bruder wohnen. Mein Mann wird Chefdirigent des Latvian National Symphony Orchestra. Und es ist ja für mich auch wieder mal ganz schön, mit meiner eigenen Sprache aufzuwachen.
Abendblatt: Was hat Ihnen denn so richtig gefehlt außerhalb Ihres Heimatlandes?
Garanca: Ich bin ja eigentlich längst Cosmopolitan, jeder Künstler und Sänger ist wie ein Zigeuner. Aber für ein paar Momente fehlten dann doch gewisse Gerüche, das Essen und die Feste wie die Mittsommernacht bei uns am 23. Juni, wo man auf dem Lande bei einer großen Feier zusammen sitzt, Bier trinkt und Käse isst und bleibt auf, bis die Sonne wieder aufgeht am nächsten Tag es sind solche kleinen Momente.
Abendblatt: Wenn Sie heute in Riga auf die Straße gehen: Sind Sie dann der Superstar, oder dreht sich keiner nach Ihnen um?
Garanca: Da gibt’s wahrscheinlich ein paar, aber im Vergleich zu Wien sind die Leute in Lettland viel schüchterner, und wenn sie mich schon erkannt haben, würden sie nicht hinter meinem Rücken auf mich zeigen und sagen: Das ist doch die ... Ich kann da einfach leichter eintauchen, ich bin eine von denen.
Elina Garanca, 13. März, Laeiszhalle (20 Uhr). Restkarten gibt's über die Abendblatt-Ticket-Hotline 040/30 30 98 98 in den Abendblatt-Ticket-Shops.