Sie war der größte weibliche Filmstar Hollywoods der 2000er-Jahre. Mit dem Wüstenepos „Australia“ stockt die Karriere endgültig.

Eine so seltsame Person habe er noch niemals auf der Welt gesehen, sagt der Mischlingsjunge Nullah aus dem Off, als Lady Sarah Ashley, gespielt von Nicole Kidman, im Stechschritt über den staubigen Boden zu ihrer Farm hastet. In ihrer Rolle in Baz Luhrmanns Filmepos "Australia" wirkt die stets so aristokratisch perfekte Aktrice seltsam fehl am Platz.

Zu künstlich die Emotionen, zu unglaubwürdig die Wandlung von der Diva zum Cowgirl, das mit einem Viehtreiber einer Mischung aus grobem Klotz und Koalabär eine Rinderherde durch spektakuläre Sonnenuntergänge treibt. Dabei bräuchte Nicole Kidman ganz dringend einen Erfolg.

Die Schauspielerin droht, in der Wüste Australiens zu versanden. Die Mega-Schmonzette könnte ihr Schicksal besiegeln. Der Aufstieg Kidmans zum größten weiblichen Filmstar Hollywoods der Jahre 2000 vollzog sich leise aber unaufhaltsam, seit sie 1995 in Gus Van Sants "To Die For" als karrieregeile Wetterfee brillierte. Sie überzeugte stimmlich in Baz Luhrmanns Schwindsuchts-Drama "Moulin Rouge" und erntete als Virginia Woolf in "The Hours" den verdienten Oscar.

Sie stieg für "Birth" mit der Reinkarnation ihres toten Gatten in Gestalt eines 10-jährigen Jungen in eine Badewanne. In ihren mutig gewählten Filmstoffen ging sie weiter als jede andere. Häufig fand sie sich von Männern verlassen ("Unterwegs nach Cold Mountain") in spukenden Gemäuern ("The Others"), wo sie in Träumen voller Verhängnis und Lust ("Eyes Wide Shut") schließlich in ein hysterisches Delirium abgleitete. Der Gesellschaft stand sie meist allein und unverstanden gegenüber. Aber sie behauptete sich. Und die Welt sah ihr gebannt dabei zu. Die Rolle der feinnervigen Neurotikerin schrieb sie sich selbst. Sie schuf sich ihr eigenes Kidman-Genre. Der psychologische Autorenfilm funktionierte mit ihr genauso gut wie der Mystery-Thriller.

Parallel wandelte sich Kidman von der dekorativen Stichwortgeberin an der Seite ihres ersten Gatten Tom Cruise zur mit Rekordgagen von bis zu 17 Millionen US-Dollar pro Film bedachten Charaktermimin, deren Filme hohe Einspielsummen versprachen. Sie löste Julia Roberts auf dem Thron der amtierenden Hollywoodgöttin ab. Wohlgemerkt als verehrte Göttin, nicht als begehrtes Wesen. Um von den Massen geliebt zu werden, verbarg sie sich hinter einer zu ätherischen Eisköniginnen-Fassade.

Diese Ära scheint nun vorüber, auch wenn niemand in Sicht ist, der sie beerben könnte. Seit 2005 leistete sie sich vier teure Flops in Folge. Das vollkommen unterbewertete imaginative Diane-Arbus-Porträt "Fell" erschien hierzulande nur noch auf DVD. Das US-Magazin Forbes wählte sie in diesem Jahr zur überbezahltesten Schauspielerin. Die Gazetten überbieten sich in Spekulationen über die eingefrorene Mimik der inzwischen 41-Jährigen. "Australia" sollte als "Vom Winde verweht" aus Down Under die versöhnliche Rettung bringen. Bildermagier Luhrmann galt als Erfolgsgarant. Eine beispiellose PR-Kampagne begleitete den Filmstart in aller Welt. Magazine verlosten Reisen ins Outback. Nicole Kidman hüllte sich in hautenge Designerfummel, um auf den Roten Teppichen rund um den Globus für den Wüstenschinken zu werben der schon in Australien reichlich Kritikerhäme einfuhr.

Ein entzückendes Aborigines-Waisenkind und Kalendermotive alleine machen eben noch keinen guten Film. Das Drehbuch trieft vor Klischees. Die zähen 166 Minuten münden in einem angeklebten Kriegsscharmützel, gegen das "Vom Winde verweht" wie eine Dokumentation wirkt. In den USA liegt "Australia" in der Zuschauergunst hinter Weihnachtskomödien und Animationsfilmen auf Rang vier. Den auf 130 Millionen US-Dollar geschätzten Produktionskosten standen am entscheidenden ersten Wochenende in den USA gerade mal Einnahmen von 15 Millionen Dollar gegenüber. Tatsächlich ist der Streifen - wenn überhaupt - sehenswert wegen Nicole Kidman. Sie ist überdreht komisch. Und anders als der Film findet sie auch hier am Ende wieder einmal nach persönlichen Hindernisläufen zu sich selbst.

Luhrmann hat Lady Ashley nach ihrem Vorbild geschrieben. Und irgendwann entledigt sie sich endlich ihrer engen Kostüme und trabt befreit durch die Wüste. Kidman wird privat nicht müde, vom Familienleben auf dem Land und selbst gezogenen Mohrrüben zu schwärmen. Aber sie habe noch einige schöne Geschichten zu erzählen, sagt sie. Hoffentlich. Für das Publikum wird sie dann womöglich keine Göttin mehr sein. Aber vielleicht wieder eine der besten Schauspielerinnen Hollywoods. Australia ist bereits in den Hamburger Kinos angelaufen Lesen Sie dazu auch die Filmkritik zu "Australia" aus der Live-Beilage