Der israelische Regisseur verarbeitet verdrängte Erinnerungen aus dem Libanon-Krieg.

Hamburg. Großes Kino lebt von starken Bildern. Und von denen bringt "Waltz With Bashir" jede Menge und sehr ungewöhnliche auf die Leinwand. Das Drama handelt von einem israelischen Filmemacher, der versucht, sich an seine verdrängten Erlebnisse im Libanon-Krieg vor 25 Jahren zu erinnern, an dem er als Soldat beteiligt war.

Dramatischer Höhepunkt ist der Überfall auf die Palästinenserlager Sabra und Shatila, bei denen etwa 3000 Menschen ums Leben kamen. Die israelische Armee war in der Nähe, griff aber nicht ein. Noch nie sah man einen derartig animierten Dokumentarfilm, der seine Geschichte in sehr intensiven Bildern erzählte. Israel hat Ari Folmans Arbeit mit sechs nationalen Filmpreisen ausgezeichnet und ins Rennen um den Auslands-Oscar geschickt. Heute kommt sie in die deutschen Kinos.


Abendblatt:

Mr. Folman, Ihr Film ist ...

Ari Folman:

Sie sind aus Hamburg?



Abendblatt:

Ja.

Folman:

Dann war Ihre Mannschaft bis vor Kurzem ja ganz oben in der Bundesliga.



Abendblatt:

Sie interessieren sich für Fußball?

Folman:

Und wie. Und ich hasse Bayern München. Was wollten Sie über den Film wissen?



Abendblatt:

Wenn ein Regisseur einen Film über einen Filmemacher dreht, erzählt er auch von sich selbst. Liegt in diesem Fall die Übereinstimmung bei hundert Prozent?

Folman:

Sie können mich ja mit den Bildern im Film vergleichen.



Abendblatt:

Ich meinte die Handlung und nicht nur das Aussehen Ihres Alter Egos im Film.

Folman:

Aber das ist doch auch ähnlich geworden, oder? Meine Mutter hält mich allerdings in der Realität für schöner. Allerdings ist sie Polin. Aber Sie haben recht, mein Film ist zweifellos eine sehr persönliche Abrechnung. Ich habe versucht so autobiografisch zu sein, wie es nur geht.



Abendblatt:

Wie leicht ist es Ihnen gefallen, dabei auch ehrlich zu sein? Autobiografen wollen ja immer ein ganz bestimmtes Bild von sich entwerfen.

Folman:

Es geht nicht so sehr um Ehrlichkeit wie um die Wiedererlangung des Gedächtnisses. Ich hatte vorher sehr viel Energie darein gesteckt, alles, was passiert war, zu unterdrücken.



Abendblatt:

Warum taten Sie das?

Folman:

Ich wollte nicht daran denken, nicht darüber reden.



Abendblatt:

Was hat die Erinnerungen zurückgebracht?

Folman:

Vor fünf Jahren habe ich um meine vorzeitige Entlassung aus der Armeereserve gebeten. Man hat mir gesagt, das gehe in Ordnung, wenn ich mich vom Militärpsychologen für ein Experiment untersuchen lassen würde. Man hat mich gebeten, alles zu erzählen, was ich während meines Wehrdienstes erlebt habe. Das habe ich getan. Danach fiel mir auf, dass ich gerade zum ersten Mal meine eigene Geschichte gehört hatte. Aber die Psychologen haben sie nie mit mir diskutiert. Also habe ich mit Freunden gesprochen und stellte dabei fest, dass meine Erfahrung nicht ungewöhnlich ist. Viele versuchen zu unterdrücken, was sie im Libanon-Krieg erlebten.



Abendblatt:

Bisher hat noch niemand Animationstechnik bei einem politischen Dokumentarfilm auf diese Weise eingesetzt. Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen?

Folman:

Nur so konnte ich den Film machen. Es geht um Bewusstsein, Unterbewusstsein, Gedächtnisverlust, Träume, Halluzinationen, Drogenwirkungen, Krieg, verlorene Jugend, Angst vor dem Tod. Das konnte ich nur mithilfe von Illustrationen kombinieren. So hatte ich die Freiheit zu tun, was immer ich wollte.



Abendblatt:

Hat der Film Ihnen geholfen, mit Ihrer Vergangenheit ins Reine zu kommen?

Folman:

Oh ja. Wenn ich mich auf einem Foto betrachte, das vor fünf Jahren aufgenommen worden ist, oder auf einem, auf dem ich 19 Jahre alt bin, fühle ich mich mit mir selbst nicht verbunden. Jetzt kann ich in größerem Frieden mit mir leben.