Befremdet und betrübt ist das ZDF über den Auftritt des Literaturkritikers, inhaltlich daneben findet es ein Hamburger Medienwissenschaftler. Und die Statue will keiner haben.

Hamburg. Die Statue, die seit Sonnabend Gesprächsthema in den Medien ist, steht in Hamburg-Harvestehude. Genauer: im Haus der Hamburger Produzentin Katharina Trebitsch. Noch genauer: auf dem Telefontischchen. Dort soll sie natürlich nicht bleiben. "Mir steht sie schließlich nicht zu", sagt Trebitsch zum Abendblatt, außerdem sei "Marcel Reich-Ranicki" eingraviert. Ein Preis, den niemand will - dabei handelt es sich um den Deutschen Fernsehpreis, die wohl wichtigste Auszeichnung, die das Fernsehen alljährlich vergibt. Aber genau da liegt das Problem. "Marcel Reich-Ranicki empfand die Verleihung als Zumutung", so Trebitsch. "Nach zehn Minuten fragte er bereits: 'Was soll denn das werden?'". Das war noch lange vor der Hackfleisch-Einlage der Fernsehköche Lafer und Lichter und dem Preis für die beste Unterhaltungssendung an RTLs "Deutschland sucht den Superstar".

Dabei habe sich der Kritiker auf den Abend gefreut, erzählt Trebitsch. Er sei "positiv gestimmt" gewesen, schätzte Thomas Gottschalk, der die Veranstaltung moderierte. Doch die sollte sich als zäh und belanglos herausstellen, und vor allem: als nicht unterhaltsam. "Für Reich-Ranicki ist nicht das gesamte deutsche Fernsehen eine Katastrophe, sondern vielmehr das, was ihm bei der Verleihung als Abbild des Fernsehens geboten wurde."

Nachdem der Literaturkritiker seinem Ärger Luft gemacht hatte, verließ er zusammen mit Katharina Trebitsch das Kölner Coloneum, wo man mit dem Essen natürlich warten wollte, bis die Gala ihr offizielles Ende gefunden hatte. Also speiste der Abtrünnige im Hotel: Frikadelle, Spiegelei, Bratkartoffeln. Und das gut gelaunt. "Er hat sich gesagt: Ich bin 88 Jahre alt - wann soll ich so etwas loswerden, wenn nicht jetzt", so Katharina Trebitsch.

Das kann man auch anders sehen: Hans Janke, stellvertretender Programmdirektor des ZDF und zugleich Vorsitzender des Beirats des Deutschen Fernsehpreises, hat das Verhalten des Kritikers "erstaunt, befremdet, betrübt und empört" - in dieser Reihenfolge. Janke empfindet Reich-Ranickis "Blödsinn"-Rede als "Affront gegenüber den Preisträgern und gegenüber denen im Saal, die ihn so sehr ehren wollten". Es sei eine begeisterte Bereitschaft im Coloneum gewesen, diesem Mann und seinem Leben Reverenz zu erweisen. Janke erinnert an Wolfgang Menge, auch der Regisseur zeitkritischer Filme war mit dem Fernsehpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden, auch er habe eindringlich die TV-Macher an ihre Aufgaben erinnert. Doch im Gegensatz zu dem "Literaturpapst" wisse Menge eben sehr viel über das Fernsehen.

Der Medienwissenschafts-Professor Knut Hickethier von der Uni Hamburg sieht in Reich-Ranickis Auftritt "eine publizistische Selbstinszenierung, ein Akt, um Aufmerksamkeit zu wecken". Inhaltlich sei seine TV-Schelte nicht gerechtfertigt, gehe an der Realität vorbei. Der Zuschauer könne Abend für Abend Kulturprogramme auf Arte oder politische Diskussionen auf Phoenix sehen, "aber die Mehrheit schaut nun mal lieber 'Deutschland sucht den Superstar' als eine Faust-Inszenierung von Peter Stein." Und nicht zuletzt: "Das literarische Quartett haben die Leute auch wegen Reich-Ranickis Unterhaltungswert geschaut und nicht wegen seiner literarischen Kritiken."

Am Freitag geht die Diskussion über die Qualität des Fernsehens in die nächste Runde. "Aus gegebenem Anlass" heißt die Sendung, die das ZDF um 22.30 Uhr ausstrahlt, mit Thomas Gottschalk und Marcel Reich-Ranicki.