Zwei Shakespeare-Stoffe am Wochenende in sehr unterschiedlicher Güte: eine Disney-taugliche Version von Gounods “Roméo et Juliette“ und eine zum Sterben langweilige Inszenierung von Verdis “Otello“.

Salzburg. In der Kostümabteilung dürften am Wochenende die Sektkorken geknallt haben. Zwei Shakespeare-Opern hintereinander waren rechtzeitig eingekleidet, für die wochenlang wohl alle Nähnadeln von Salzburg bis Wien geglüht haben. Prunkvolle Gewänder und Perücken, mehr Stulpenstiefel, als selbst der opulenteste Hollywood-Historienschinken vertragen kann. Hoffnung auf sinnsuchende oder sonstwie anspruchsvolle Deutungen konnte man bei beiden Abenden umgehend fahren lassen. Hier galt's den Goldkehlchen, den Publikumslieblingen und Kassenfüllern, den Pralines für Augen und Ohren. Jubel, Trubel, Tränchenverdrücken war angesagt. Es wurde gerannt, gefochten, geknutscht und gestorben. Mehr sollte nicht sein, und war zugegebenermaßen auch, aus sehr unterschiedlichen Gründen, sehr unterhaltsam.

Für Opern-Ken und Opern-Barbie hatte der vom Broadway importierte Musical-Regisseur Bartlett Sher eine Disney-taugliche Version von Gounods "Romeo et Juliette" in die vielfach überbuchte Felsenreitschule gezimmert. Ein Star mit lokaler Vorgeschichte tobte dort mit enormer Verve durch das Rampenlicht: Opern-Ken alias Rolando Villazón meldete sich als Pracht-Tenor, dem die Frauen sich anvertrauen, mit edel timbrierten Tönen wieder zurück. Anfangs machte ihm die Aufregung wohl noch zu schaffen, war dies doch der große Comeback-Termin. Dort, wo ihm vor einigen Jahren alles über den Kopf zu wachsen begann. Doch Romeo ist und blieb dann auch eine seiner Paraderollen. Anfängliche Trübungen auf Stimmbändern und Nerven gaben sich. Je später der Abend, desto intensiver und packender wurde die Charakterzeichnung.

Ein anderer Star wurde hier an diesem Abend nicht geboren, aber mit viel Vorab-Jubel vom Haus gemacht: Opern-Barbie alias Anna Netrebko, bekanntlich durch Schwangerschaft entschuldigt, hieß diesmal Nino Machaidze, kommt aus Georgien und sieht - was ihre Anpreisung nicht erschwerte - wie Angelina Jolies kleine Schwester aus. Und sang sich bei dieser einmaligen Gelegenheit das zarte Seelchen gar lieblich aus dem Leib. Man konnte schon bald nicht anders, als sich ganz ohne schlechtes Gewissen darüber zu freuen, wie gut man solche Baiser-Stücke mit komplett abgeschaltetem Intellekt goutieren kann. Erst recht, wenn sich ein Show-Talent wie der Newcomer Yannick Nezet-Seguin fast Richtung Bühne aus dem Graben wirft, um das Mozarteum-Orchester auf klassische Soundtrack-Betriebstemperatur zu bringen. Das Ende funktionierte so sicher wie Romeos Gift in der Gruft. Schmachten, Exitus, minutenlanger Beifall.Machaidze, frenetisch gefeiert, wird sich von nun an genau so hüten müssen.

Wo viel Licht, da viel Schatten. Am Vorabend, eine Bühne weiter im Großen Festspielhaus, hatten die Wiener Philharmoniker unter Riccardo Muti alles und jeden an die Wand gespielt und in seinem Salzburger Stamm-Haus wieder einmal gezeigt, wo Maestro den Traditionsmost holt. Alles aus dem Orchestergraben war zum Hinknien. Alles oberhalb, Stephen Langridges Regie also, war schlicht zum Nichthinsehenkönnen. Verstaubte, seit Karajans Zeiten hier nicht mehr vermisste Wunschkonzert-Gesten, wurden reanimiert. Aleksandrs Antonenko: ein ausbaufähiger, aber leider stocksteif wütender Otello, Carlos Álvarez: ein höchstens mittelböser Jago, dafür litt Marina Poplavskayas Desdemona sehr hörenswert Richtung Jenseits. Hübsch gewandete Choristen wippten im Takt, am Ende war eine gläserne Tischtennisplatte, auf der das Ensemble zu stolzieren hatte, gespalten. Otello und Desdemona waren tot. Nicht von sich selbst, sondern eher von der Langeweile umgebracht.