Umstritten, machtbewusst und erfolgreich: Der Enkel des Komponisten prägte selbst die Geschichte des Musiktheaters.

Bayreuth. Ewige Rituale: Die prominenten Premierengäste von Walter Scheel bis Margot Werner, von Angela Merkel bis Roberto Blanco lassen sich auf dem roten Teppich auf dem Grünen Hügel von den Bayreuther Zaungästen feiern. Bläser-Fanfaren künden viertelstundenweise mit Wagner-Motiven den nahen Beginn der Vorstellung an. Und dazu gehört in der ungeschriebenen Premieren-Choreografie das obligate Foto des Wagner-Clans mit den Ehrengästen.

Stets war Hügel-Chef Wolfgang Wagner mit dabei: Wir sahen ihn mit der Begum und mit Weizsäcker, mit Strauß und mit Scheel. Nur Theodor Heuß und Helmut Schmidt zog es nicht nach Bayreuth. Aber das ist eine andere Geschichte. Sie hat mit Bayreuths "1000-jähriger" Vergangenheit zu tun. Jetzt geht dort eine Ära zu Ende. Zum letzten Male finden die Richard-Wagner-Festspiele unter der Leitung Wolfgang Wagners statt. Wenn sich morgen Nachmittag der Vorhang am Grünen Hügel zur Neuinszenierung des "Parsifal" hebt, kann der greise Wagner-Enkel auf eine Epoche zurückblicken, die ihresgleichen sucht.

Er ist der mit Abstand dienstälteste Intendant der Welt. 1951, als die meisten großen Opernhäuser Deutschlands noch in Schutt und Asche lagen, überraschte er gemeinsam mit seinem Bruder Wieland bei den ersten Nachkriegs-Festspielen das Publikum mit einer ungewohnten, weil radikal abstrahierten Sicht auf das Werk des Großvaters.

Andere Regisseure wie Claus Peymann, Peter Stein oder Hans Neuenfels, die heute längst das Stadium der "Jungen Wilden" hinter sich haben und von der jungen Garde selbst schon respektlos als "Opas Theater" tituliert werden, drückten damals noch in kurzen Hosen als Pennäler die Schulbank. Aber Wolfgang ist immer noch im Amt.

Seit vor 57 Jahren "Wölfchen und Wieland, die putz'schen Kleenen" - so spottete seinerzeit das Düsseldorfer Kabarett "Kom(m)ödchen" -, mit ihrem "Neu-Bayreuth" die Opernwelt tief in zwei Lager spalteten, hat Wolfgang in Bayreuth das Sagen. Und seit dem Tod des Bruders 1966 allein.

Der 88-Jährige herrscht bis heute dort nach durchaus fränkischer Gutsherrn-Art. Neben ihmhatte keiner am Hügel auch nur die geringste Chance. Ausgenommen allenfalls seine zweite Frau Gudrun, die bis zu ihrem überraschenden Tod im vergangenen November als die heimliche Herrin der Festspiele galt. Aber auch sie kannte die "Scheune", wie das Festspielhaus gelegentlich genannt wird, nicht im Entferntesten so gründlich wie der Gatte. Er ist darin quasi aufgewachsen, findet heute noch jeden Sicherungskasten im Bühnenhaus mit schlafwandlerischer Sicherheit.

Wenn es um den Bestand der Festspiele ging, kannte er kein Pardon. Legendär sind seine Zornesausbrüche, seine fränkische Spottlust, die auch - und vor allem - vor der eigenen Sippschaft nicht haltmachte. Er legte sich mit allen und jedem an, ob es Journalisten waren oder Regisseure, Politiker oder "Freunde".

Er entzweite sich mit Sohn Gottfried und Tochter Eva, wofür sich der Filius mit einem Buch über die braune Vergangenheit Bayreuths zu "Onkel Wolfs" unseligen Zeiten rächte. Das war Adolf Hitler, den Wolfgang und Wieland einst so nannten. Gottfried, benannt nach dem Wunderkind aus dem "Lohengrin", nannte sein Buch herausfordernd "Wer nicht mit dem Wolf heult".

Wolfgang sorgte dafür, dass es auf dem Hügel keinen Wagner neben ihm gab. Wenn die vierte Generation Ambitionen als Regisseure erkennen ließ, sich gar als Nachfolger ins Gerede brachte, knurrte er nur: "Bayreuth ist keine Spielwiese für Wagner-Urenkel."

Was natürlich nicht für die eigene Tochter Katharina galt. Es ging vor allem um Wielands Nachwuchs wie dessen Tochter Nike, die bis heute jede Gelegenheit genüsslich auskostet, sich mit dem Alten anzulegen. Aber immer noch gilt, was schon in Neu-Bayreuths diffizilen Anfangsjahren Bruder Wieland einst anerkennen musste: "Ohne mich können die Festspiele durchaus existieren - ohne meinen Bruder sicherlich nicht." Der holte nach Wielands Tod Regisseure nach Bayreuth, die nicht zur Familie gehörten. Patrice Chereau, Götz Friedrich, Harry Kupfer, Werner Herzog und Dieter Dorn gaben ebenso mehr oder weniger gelungene Denkanstöße auf dem Hügel wie später Heiner Müller, Jürgen Flimm, Christoph Marthaler, Claus Guth oder Christoph Schlingensief.

Dass Wolfgang zudem im Laufe der Jahre den gesamten Festspiel-Komplex von Grund auf sanierte, neue Probebühnen baute und selbst die Restaurants modernisierte, wurde bei allem Gezänk der zerstrittensten Dynastie Deutschlands gerne übersehen.

Das soll nun anders werden. Am 1. September, zwei Tage nach Wagners 89. Geburtstag, wird der Stiftungsrat zur entscheidenden Beratung über seine Nachfolge zusammentreten.

De facto ist darüber schon seit Ende April entschieden, nachdem Wolfgang überraschend angekündigt hatte, zum 31. August zurückzutreten. Weil er im Gegenzug dem Gremium vorgeschlagen - besser: nahe gelegt - hatte, das Amt in die Hände seiner Töchter Eva (63, aus erster Ehe) und Katharina (30, aus der Ehe mit Gudrun) zu übertragen, blieb dem Stiftungsrat einfach keine andere Wahl. Nicht zuletzt war es ja dasselbe Gremium, das schon vor sieben Jahren Wolfgang zum Rücktritt zu bewegen versucht hatte. Damals stimmte man mit 22:2 Stimmen für Eva. Doch man hatte die Rechnung ohne den Alten gemacht: Wolfgang, der Tochter Katharina favorisierte, dachte gar nicht daran, unter solchen Umständen seinen Abschied zu nehmen. Und pochte auf seinen Vertrag auf Lebenszeit.

Jetzt sind die Entscheidungsträger begeistert. Kulturstaatsminister Bernd Neumann lobte das halbschwesterliche Duo prompt als "äußerst zukunftsträchtig", und auch Karl Gerhard Schmidt, der Vorsitzende der einflussreichen Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, gab dem Duo begeistert seinen Segen.

Die Rollen sind klar verteilt: Eva Wagner-Pasquier, die mit einem französischen TV-Produzenten verheiratete Musikmanagerin, hatte an der New Yorker Met, am Covent Garden in London oder an der Bastille in Paris leitende Positionen inne und soll auf dem Grünen Hügel die künstlerische Organisation übernehmen.

Katharina, die im vorigen Jahr ihr Bayreuth-Debüt als Regisseurin der "Meistersinger" gab, wird weiter inszenieren, das Marketing übernehmen und das Festival in die multimediale Zukunft führen. Erste Zeichen sind jetzt schon gesetzt: Die "Meistersinger"-Vorstellung am 27. Juli wird auf dem Bayreuther Festplatz, wo sonst die Kirmes stattfindet, als Direktübertragung aus dem Festspielhaus auf einer 90 Quadratmeter großen Bildwand zu sehen sein. 15 000 Zuschauer haben Platz, der Eintritt ist frei. Darüber hinaus ist die Vorstellung im Internet für 10 000 zahlende Zuschauer zum Preis von 49 Euro abzurufen.

Wie und ob die Halbschwestern miteinander zurechtkommen, darüber wurde heftig spekuliert. Schließlich sind sich die beiden seit fast 30 Jahren nie begegnet, geschweige denn hätten sie miteinander geredet. Mehr noch: Äußerungen über die jeweils andere waren meist alles andere als harmonisch. Aber plötzlich scheinen die Damen verwandtschaftliche Gefühle entdeckt zu haben. Jetzt gehe alles extrem schwesterlich zu, zitiert der "Spiegel" Katharina: "Es läuft nur Hand in Hand, da sind wir uns einig." Sogar für Cousine Nike scheint im neuen Bayreuther Führungs-Team ein Platz gefunden zu sein. Wie das "Abendblatt" erfuhr, wird erwogen, die Idee der einst von Wolfgangs Schwester Friedelind (1918-1991) realisierten Meisterklassen für Nachwuchs-Sänger, -Regisseure und -Musiker wieder aufleben zu lassen. Allerdings nicht mehr auf die Festspiel-Wochen beschränkt, sondern als ständige Einrichtung in Form einer Schule. Deren Leitung solle dann die 63-jährige Nike übernehmen.

Mit der diesjährigen Neuinszenierung des "Parsifal" geben zwei Künstler ihr Debüt am Grünen Hügel, denen die internationale Kritik eine große Zukunft bescheinigt: Der 47-jährige Italiener Daniele Gatti, der schon an allen großen Häusern von New York über London bis Mailand gearbeitet hat, wird dirigieren.

Und es inszeniert Stefan Herheim, Jahrgang 1970, der bei Götz Friedrich an der Hamburger Musikhochschule ausgebildet wurde und hier mit einer "Zauberflöte" als Examensarbeit auf sich aufmerksam gemacht hatte. Er fordert das Publikum mit ungewohnten Sichtweisen. So fegte seine "Carmen" in Graz als Putzfrau in einem Museum die Fußböden. Und mit einer rüden "Entführung aus dem Serail" sorgte der Norweger unlängst in Salzburg für eine 20-minütige Premieren-Unterbrechung, weil aus dem wütenden Publikum Programmhefte auf die Bühne gepfeffert wurden.

Eine Überraschung also wäre es, wenn es nach der Premiere Freitagnacht ruhig bliebe im Festspielhaus. Aber Bayreuth ist immer für eine Überraschung gut. Und der greise (Noch-)Hausherr, auch wenn er seines angeschlagenen Gesundheitszustands wegen dem traditionellen Premierenempfang der bayerischen Staatsregierung fernbleiben sollte, würde sich - wie stets - vor seine Künstler stellen: "Eine interessante Sichtweise, die sicherlich einigen Gesprächsstoff in sich birgt." Man wird ihn vermissen.