Der einstige Sänger der Band Nationalgalerie hat feine, lebenskluge Songs mit der Akustikgitarre eingespielt.

Hamburg. Beruhigend, dass sich Musiker noch Zeit nehmen. Zeit, zu horchen. In sich hinein. Und auf andere. Zeit, die bewährten Wege zu überprüfen. Und zu verlassen.

Vier Jahre lang hat sich Niels Frevert Zeit gelassen für seine neue Platte "Du kannst mich an der Ecke rauslassen". Ein Titel, der ein wenig so ist wie die Musik des Hamburgers. Die Verse wirken wie nebenbei an der Theke erzählt. Eine gute Tarnung. Der Hörer wiegt sich in Sicherheit. Und dann schnappt sie zu, die Poesie-Falle. Die Fans haben es vermisst, dem Singer-Songwriter so schön auf den Leim zu gehen wie zuletzt bei seinem Album "Seltsam öffne mich". "Irgendwann haben wir nicht mehr gefragt: Niels, wie geht's deinen neuen Liedern", heißt es in der Info des Labels Tapete Records.

"Ich bin ein langsamer Mensch", sagt Frevert, ein großer Typ mit "Bin gerade aufgestanden"-Frisur. Als er die ersten zwei, drei Lieder fertig hatte, sei klar gewesen: "Diese Platte wird ganz anders." Zupfenderweise fand er sich an der Akustikgitarre wieder. Da war dieses Gefühl: "Das macht irgendwas mit mir." Andere, angefangene Songs "mit den verzerrten Gitarren" fielen rasch beiseite. "Ich merkte, ich mag gar nicht rocken gerade."

"Nach Leichtigkeit" sollte das neue Album klingen. Eine "genaue Vision", die es erforderte, auch mal einen Schritt zurückzutreten, innezuhalten. Der Wunsch nach Ruhe, nach Reduktion stellte sich ein, als Frevert andere Musiker hörte. Joni Mitchell etwa. Oder Elliott Smith. "Das klingt jetzt vielleicht etwas kitschig, aber wenn ich so eine gezupfte Gitarre höre, geht mir das Herz auf." Obwohl er mit dem Saitenspiel an seinen technischen Grenzen als Gitarrist gekratzt habe. Ein Querverweis, wie groß diese Herausforderung für den Autodidakten war, findet sich in "Der Typ, der nie übt (Worum es eigentlich geht)". Dass Frevert das Risiko doch eingegangen ist, hat sich gelohnt.

Seine Songs entfalten eine hohe Intimität. Und ungewohnte Perspektiven. Im Opener erlebt der Hörer, dass der Erzähler wie ein "Baukran" in seinem eigenen Radius arbeitet. Und sucht. "Mit Füßen aus Beton". So statisch das Anfangsbild, so offen das Ende mit "Aufgewacht auf Sand". Ein Lied - auch - über Wellen am Strand, ihre Dynamik und Flüchtigkeit. Immer wieder handeln Freverts Songs von dieser diffusen Stimmung, fremd in der Welt zu sein, sich zu verirren. Wenn der Alltag dem Sehnen widerspricht. Solche Lieder heißen bei ihm schlicht "Waschmaschine".

Und immer wieder sind Zeilen zu hören, die nachhallen. "Mir ist so nach Gedankenbegleitservice" ist so ein Satz. Oder "Wenn der Himmel jemals endet, dann als Doppeltverglasung". Witz und Melancholie schließen einander nicht aus. Für seine Texte gilt das, was Frevert in dem autobiografischen wie nostalgischen Stück "Niendorfer Gehege" formuliert: "Hier ist genug Platz für krumme Gedanken". Und genug Platz für Freverts Gesang, der nun stärker in den Vordergrund tritt. "Bisher war ich immer der, der gesagt hat: Macht bitte die Stimme leiser, das hält doch kein Mensch aus." Jetzt covert er sogar nonchalant Hildegard Knef.

Für eine zartbittere Note sorgen zudem Streicher-Arrangements, für die sich Frevert einen Spezialisten gesucht hat: Werner Becker, der in den 70ern unter dem Pseudonym Anthony Ventura Easy-Listening-Sound komponierte und heute Musiker wie Matthias Reim und Howard Carpendale produziert. Der Altmeister sagte zu. Trotz minimalen Budgets. Beckers Motivation: "Es hat Klick gemacht." Und so fuhr Frevert raus nach Buchholz in der Nordheide, wo der Senior lebt und wirkt. "Auf dem Rückweg stand ich am Bahnhof und dachte, jetzt geht's los, das letzte Puzzleteil ist da." Puzzeln, auch so ein Spiel, das Geduld braucht.


Niels Frevert: Du kannst mich an der Ecke rauslassen (Tapete); Konzert mit Band: 12.4., Uebel & Gefährlich