HAMBURG. Thomas Hengelbrock für ein Dirigat einzuladen kann für konventionell geprägte Großorchester Risiko und Chance zugleich sein. Seine Sozialisierung und sein Renommee in der Branche erarbeitete er sich im kleiner besetzten Bereich der Alten Musik, die Lektionen daraus setzt er mittlerweile auch in viel späterem Repertoire um und kommt damit regelmäßig zu anderen Ansichten und Ergebnissen als der gängige 08/15-Durchreise-Maestro. So auch beim NDR-Abo-Konzert in der Laeiszhalle, bei der die Betonung auf zwei guten Ideen lag. Die erste: Goethe-Vertonungen zu präsentieren, die zweite: "Die erste Walpurgisnacht", eine ebenso opulente wie selten zu hörende Mendelssohn-Kantate für Solisten, Chor (vom NDR und DR) und Orchester ins Rampenlicht zu stellen. Beides gelang vorzüglich. Nachdem Hengelbrock in Beethovens "Egmont"-Ouvertüre einen klar definierten Tonfall forderte und erhielt, der durch klare Anweisungen klassisches Formbewusstsein betonte, ohne dabei in die romantisierende Breite zu gehen, wurde diese Maxime auch bei Beethovens Vierter zügig und druckvoll durchgehalten. Eine Perspektive, die längst nichts Bilderstürmisches mehr hat. Aber ihren Reiz behält, wenn sie so gut gemacht ist wie hier. Glanzstück des überschwänglich gefeierten Abends war Mendelssohns teuflisch eindrucksvolle Balladenvertonung. Es sommernachtsträumte im Holz, es freischützte großflächig im Streicherdickicht, bei dieser Vorlage natürlich kein Wunder. Gesungen und gespielt wurde jedenfalls tadellos. Das Risiko war keines, die Chance wurde bestens genutzt.