Kein böses Wort über Rock-Geriatrie oder Rentnerband. Die Rolling Stones waren in Topform und das Publikum begeistert.

Hamburg. Ein Gitarrenriff - und die Fans jubeln. Natürlich haben sie schon nach einem Takt erkannt, mit welchem Song die Rolling Stones ihr Hamburger Konzert in der HSH-Nordbank-Arena eröffnen, denn Keith Richards' Gitarrenspiel ist eben unnachahmlich. Er ist vielleicht nicht der Schnellste oder der Beste seiner Zunft, aber Richards hat seinen speziellen Sound schon lange gefunden. Vor Jahrzehnten. Mit "Start Me Up" geht es um 21 Uhr los, jenem Hit aus dem Jahr 1981 und der letzten Top-Ten-Single, die die Band in ihrer britischen Heimat hatte.

Aber warum die Stones 75 Minuten brauchen, bis sie die Bühne nach der sehr respektablen Vorgruppe Starsailor betreten, will sich vielen Fans nicht erschließen. Früher hieß es bei Jagger und Co. noch "No snow, no show", aber die Zeiten des Kokainschnupfens sind bei den Jurassic Four lange vorbei. Allerdings vergeben ihnen die Fans sofort. Denn das Quartett und die neun weiteren Musiker steigen gleich voll ein. Nach "Let's Spend The Night Together" geht es mit "Rough Justice" und "Rocks Off" vom "Exile On Main Street"-Album weiter. Unaufhörlich rollt die Rockmaschine der Stones. Sie sind wieder mal ihr Geld wert.

Zwar sind nur knapp 30 000 Fans in die nicht ausverkaufte HSH-Nordbank-Arena gekommen, doch die Einnahmen sind höher als bei anderen Künstlern, denn die Stones verlangen Eintrittspreise bis zu 190 Euro. Diese Summe haben Jochen Schröder und Angelika Krebs-Schröder im Vorverkauf hingelegt. "Zuerst mussten wir schon schlucken bei dem Preis", sagt sie. Doch er ergänzt: "In Relation zu anderen Dingen, für die man Geld ausgibt, ist das o. k." Immerhin sind die beiden Fans der ersten Stunde. Die 55-Jährige war sogar mit 15 schon dabei, als die Stones in Hamburg die Ernst-Merck-Halle gerockt haben. "Damals habe ich kein Wort verstanden, weil das Gekreische der Fans so laut war."

An der Tageskasse fiel der Karten-Kurs schließlich auf 59 Euro. Kürzlich sagte Keith Ri-chards: "Wir machen das nicht wegen des Geldes, wir brauchen diesen Geruch und das Geschrei der Menge und die Energie, die entsteht."

Energie haben die vier Stones allemal. Kein böses Wort über Rock-Geriatrie oder Rentnerband. Obwohl bereits seit Anfang Juni in Europa auf Tour, sind bei Mick Jagger, Keith Richards, Ron Wood und Charlie Watts keine Verschleißerscheinungen zu spüren. Während die Herren auf der Bühne ihr Letztes geben, können es sich die Fans gemütlich machen. Stehplätze gibt's in Hamburg nicht. Wer mittanzen will, muss aufstehen. Und das haben viele getan.

Sie hängen an Jaggers Lippen, der in hautengen Jeans und T-Shirt über die Bühne joggt. Die Band legt eine unglaubliche Tour de Force hin, die nach einer halben Stunde in einer zehnminütigen Version von "Midnight Rambler" gipfelt. Blues so schwarz, wie er nur in irgendwelchen Kaschemmen im Süden der USA entstehen kann, aber von diesen Multimillionären genial gespielt wird. Der Blues ist ihnen ins Blut übergegangen, dieses Gefühl kann offensichtlich auch kein Bankkonto zerstören. Jaggers Tanzeinlage lässt die Menge erst recht ausrasten.

"I'll Go Crazy" widmen die Stones dem im Dezember verstorbenen James Brown. Die Menge ist aus dem Häuschen, ausgereckte Hände schlagen den Beat in der Luft, als wollten sie Jagger und die Musiker weiter anfeuern. Aber das ist an diesem Abend nicht nötig, denn die Rolling Stones geben alles. Hit auf Hit hauen sie aus ihrem schier unerschöpflichen Repertoire heraus. Ein weiterer Höhepunkt dieser gewaltigen Show ist die sogenannte B-Stage, die in die Arena hineingefahren wird. "Miss You", "It's Only Rock 'n' Roll" und "Honky Tonk Women" gibt es inmitten der Fans. Plötzlich wird aus dem riesigen Stadion ein intimer Raum. Und spätestens jetzt gibt es niemanden mehr, der bereut, so viel Geld für die "größte Rock-'n'-Roll-Band der Welt" ausgegeben zu haben.