Die Simpsons waren immer schon mehr als eine Zeichentrickserie. Jetzt kommen sie ins Kino - als Zerrbild der amerikanischen Kultur.

Hamburg. Es gehört zu den kleinen Wundern der amerikanischen Popkultur, dass aus kommerziellen Produkten manchmal Kunstwerke entstehen, dass die Maschinerie zuweilen Klassiker sogar hervorbringt. Werke wie die Simpsons, die längst mehr sind als eine Serie animierter TV-Episoden und die ein Kulturtheoretiker als den Inbegriff des postmodernen Fernsehens und eine perfekte Beschreibung unserer fragmentierten und widersprüchlichen westlichen Welt beschrieb. Jetzt, 20 Jahre nach ihrem Entstehen, sind die Simpsons im Kino angekommen. Und wer unsere Welt verstehen will, der sollte zuschauen.

Die Weisheit eines der großen Studiobosse aus Hollywoods besten Jahren ist zwar schon etwas betagt, aber bei diesem Film noch immer das beste Rezept für den Einstieg: erst einen Big Bang und dann langsam steigern. Denn wie anders könnte eine Cartoon-Fernsehserie, die seit 20 Jahren in 400 Episoden à 22 Minuten ein kaum überschaubares Gag-Feuerwerk abgebrannt hat und vom "Time Magazine" das Label "beste TV-Show des 20. Jahrhunderts" bekam, bei ihrem Kinodebüt anders bestehen, als noch über sich hinauszuwachsen?

Die Simpsons starten also ihren ersten Kinofilm, der mit 88 Minuten die Dauer von vier Episoden hat, mit einem Big Bang, und der wiederum ist Teil eines Prologs, der selber ein komischer Urknall ist, weil er vieles vom Geist des Ganzen ironisch vorwegnimmt. Die einleitende Sequenz überrascht zunächst dadurch, dass nicht die Simpsons selbst auftreten, sondern deren TV-Helden Itchy & Scratchy (eine grotesk-gewalttätige Tom & Jerry-Parodie) auf dem Mond landen. Das Abenteuer von Katz und Maus nimmt die schlimmstmögliche Wendung, und der Abspann verrät, dass gerade "Itchy & Scratchy - The Movie" lief. Harter Schnitt: Die Familie Simpson erhebt sich aus den Kinosesseln, Vater Homer nörgelt: "Im Fernsehen kriegen wir das umsonst."

Womit das menschliche Publikum bereits mittendrin wäre in der Welt der Simpsons mit ihren unerwarteten Wendungen, der selbstreferentiellen Komik und dem Nonsens, hinter dem sich zuweilen existenzielle Abgründe eröffnen. Denn was viele Erwachsene nach dem ersten Blick als "Kinderkram" abtun, das sind tatsächlich auf verschiedenen Verständnisebenen animierende Animationsfilme. So zählen zu den prominenten Fans der Serie viele Intellektuelle, darunter Stephen Hawking ("Ich glaube, dass die Simpsons das Beste im amerikanischen Fernsehen sind") oder der deutsche Schriftsteller Daniel Kehlmann, der die Serie für eines der "intelligentesten und vitalsten Kunstwerke" unserer Zeit hält.

Alles begann mit einer Anfrage bei Matt Groening, der den Comic "Life in Hell" kreiert hatte, ob er als Pausenfüller Zeichentrick-Storys für die Tracey-Ullman-Geschichte entwickeln könnte. Der Legende nach skizzierte Groening in 15 Minuten einige Hauptfiguren. Nach diesem Inspirationsblitz war seine Kreativität erschöpft, sodass er kurzerhand die Vornamen seines Großvaters Abe, seiner Eltern Homer und Margaret (Marge) sowie der Schwestern Lisa und Maggie auf die Simpsons übertrug. Seinen inzwischen 18 Jahre alten Sohn hat er übrigens Homer genannt.

Der Rest ist eine anhaltende Erfolgsgeschichte: 1987 starteten die Simpsons und waren bald erfolgreicher als die längst vergessene Tracey-Ullman-Show. 1989 machten sich die Simpsons auf dem Sender Fox selbstständig. Der Erfolg sorgte für die Unabhängigkeit: Das 15-köpfige Autorenteam, dem zehn Harvard-Absolventen angehören sollen, nutzte die inhaltlichen Freiräume aus, indem immer wieder die Grenzen des Zumutbaren ausprobiert wurden. Dabei gelang das Kunststück, anspruchsvoll-beziehungsreiche und anarchische Elemente in die Storys einzubauen, dabei aber zu unterhalten und kommerziell erfolgreich zu sein. Ein subversiver Geist, den konservative Amerikaner fürchten. Die USA bräuchten mehr Familien wie die Waltons und weniger, die wie die Simpsons seien, mahnte Ex-Präsident George H. W. Bush. Die Antwort der Simpsons folgte sofort. Die Familie sieht Bushs Ansprache im Fernsehen, und Bart reagiert verständnislos: "Wir sind doch wie die Waltons. Wir beten auch für ein Ende der Depression."

Tatsächlich ist die Sache komplizierter: Denn die Simpsons sind bei allen Ausrutschern paradoxerweise in vielerlei Hinsicht gar nicht so fern von den Idealen einer All American Family in der prototypischen US-Kleinstadt Springfield. Vater Homer mag egoman, ignorant, cholerisch, leichtsinnig sein, doch am Ende ist er stets ein Familienmensch. Auch wenn die Muster verantwortungsbewusster Fürsorge karikiert werden. So wird er in einer TV-Folge aus wilden Primatenträumen von seinen Kindern geweckt. Lisa sagt vorwurfsvoll: "Steh auf. Du hast doch versprochen, mit uns an den See zu fahren." Homer: "Ich habe euch Kindern schon viel versprochen, deshalb bin ich ein guter Vater." Lisa, verbittert: "Ein guter Vater hält seine Versprechen." Homers Antwort: "Nein. Denn dann wäre ich ein großartiger Vater." Am Ende fährt er mit Familie an den See.

Prominente Fans zuhauf drängte es immer wieder, sich in der Serie zu verewigen, indem sie ihren Cartoon-Abbildern die eigenen Stimmen gaben. Prominenter Gast war etwa Tony Blair. Der große Coup aber war der Auftritt des öffentlichkeitsscheuen Autors Thomas Pynchon - mit Papiertüte über dem Kopf.

Für den morgen in Deutschland startenden Kinofilm ahnten skeptische Fans wie Kehlmann Schlimmes. Doch "Die Simpsons. Der Film" widerlegt dies vehement. Der Film ist ein Triumph der Popkultur, in dem souverän über das neue Umweltbewusstsein der Amerikaner nach Gore gespottet wird. Der Präsident im Film heißt übrigens Schwarzenegger, stellt sich mit einem holzgeschnitzten "that is me" und sagt: "I'm elected to lead, not to read." Alles ist möglich im Simpson-Universum. Fast alles. In den USA hat der Film eine Altersfreigabe ab 13: Schuld daran sind ein kleiner gelber Penis und ein erigierter Finger, den Homer seinen Mitbürgern entgegenreckt.