Hamburg. Muss man eigentlich, wenn man in Deutschland als Sänger Erfolg haben will, als Grundausstattung eine hässliche Stimme mitbringen? Italien, USA, England, Frankreich: Überall gibt's Sänger mit Gänsehaut-Schwerpunkt. Bei uns dagegen machen die Jungs von Tokio Hotel mit "Schrei" und einem tollen androgynen Styling Karriere.

Irgendwie hat es in Deutschland Tradition, dass Sänger nicht singen können müssen. Fast gilt die Maxime: Je mehr verkaufte Platten, desto platter die Stimme. Dieter Bohlen mit seinen 400 Gold- und Platinauszeichnungen behauptet von sich selbst, er könne gar nicht singen. Frank Farian, größter Plattenproduzent der 70er-Jahre, erfand Popgruppen wie Boney M oder Milli Vanilli, in denen die Herren keinen Ton rausbrachten.

Und unsere Stars? Herbert Grönemeyer aus Bochum ("Tief im Westen, wo die Sonne versinkt") hat 15 Millionen Alben verkauft, obwohl er in jedem seiner Lieder näselt, nuschelt, den höchsten Ton meist in der Mitte der Textzeile anschlägt, die Sprache dauerknetet. Und das auch noch mit hoher Stimme. "Unnääänttlich", "freueuoiointlich" schallt es uns von seinem neuesten Lied "1 Stück vom Himmel" entgegen, in dem dann auch noch eine Zeile wie "Bibel ist nicht zum Einigeln" respektabel präsentiert werden will. Pressen, drücken, knödeln ist da angesagt. Ein bisschen klingt's immer wie auf dem stillen Örtchen.

Nehmen wir Marius Müller-Westernhagen, der lange die größten deutschen Stadien füllte. Und das ohne Rockröhrenvolumen, Lionel Richies Schmusebass oder den Soul von Mick Hucknall. Mit zornig nach unten gepresster Stimme grölte er "Es geht mir gut" oder "Sexy". Da konnten alle mitsingen, wenn sie den Bauch zusammendrückten.

Und Udo Lindenberg? "Reeperbahn, du geile Meile" singt er mit der Nase. Die Töne werden aus dem Hals nach oben geraunt. Klingt pneumatisch irgendwie nach Rippenfellentzündung oder verschlucktem Blasebalg.

Doch die Fans freuen sich. Denn so ein Sänger ist eigentlich gar nicht so anders wie sie. Singt offenbar, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Und damit gefällt er uns besser als eine Diva mit 400 Paar Schuhen oder ein Star, der erst auftritt, wenn die Bühne nach Feng-Shui-Prinzip aufgebaut ist.