Neugierig, skeptisch, misstrauisch. Unparteilich, aber nicht unparteiisch - so lobt Werner Funk den Journalismus des “Spiegels“. Er war 23 Jahre lang dabei, sechs Jahre davon als Chefredakteur.

Das Feiern von Jahrestagen - schon gar von unrunden wie dem 60. - verstößt eigentlich gegen den "Spiegel"-Hausbrauch, jenen ungeschriebenen, aber verbindlichen Kanon von Denkweisen und Verhaltensregeln, die das Selbstverständnis des Blattes und seiner Redaktion prägen: Bloß nicht so viel Schulterklopfen, so viel Getue um die eigene Groß- und Einzigartigkeit, schon gar nicht aus einem so vergleichbar belanglosem Anlass wie dem 60. Geburtstag.

"Wir sind wir und der Rest sind Friseure", hat einmal ein Geschäftsführer des Verlags gesagt. Gemeint hat er: "Spiegel"-Leute konzentrieren sich besser auf ihren Job und machen eine möglichst gute investigative, kritische, auch unterhaltsame Zeitung. Feiern sollen die anderen, die sich an der fiktiven Bedeutung von Jahrestagen hochhangeln.

Dass die Redaktion und ihr Verlag in der nächsten Woche dieser Linie untreu werden, im Hamburg Cruise Center eine Riesensause veranstalten, vor allem das nächste Heft der eigenen Geschichte widmen, ist dennoch ein Glücksfall: Wie kein anderes Blatt hat der "Spiegel" in den sechs Jahrzehnten seines Bestehens das Land und seine Menschen begleitet, beeinflusst, begeistert und verärgert, verblüfft und verdrossen.

Wie kein anderes Blatt hat Rudolf Augsteins oft beschworenes "Sturmgeschütz der Demokratie" die Zeitläufte durch seine Enthüllungen, seine Affären-Geschichten und Kampagnen mitgeprägt. Selbst eingefleischte Kritiker können nicht bestreiten, dass die Kollegen von der Brandstwiete bei ein paar Kapiteln deutscher Geschichte ein wenig mitgeschrieben haben.

Für mich, der ich fast 23 Jahre für das Blatt zu arbeiten den unbestreitbaren Vorzug und das im Wesentlichen ungetrübte Vergnügen hatte, war es weniger die schon damals eindrucksvolle politisch-gesellschaftliche Durchschlagskraft, die mich zum "Spiegel" trieb. Ich war - und das seit meinen Studententagen - angetan, genauer: unwiderstehlich angezogen vom Grundmuster, von der - wenn Sie mir dieses Kürzel verzeihen - DNA des "Spiegel"-Journalismus, wie ich ihn verstand und verstehe. Neugierig, skeptisch, misstrauisch gegenüber den vermeintlichen Wahrheiten der Mächtigen, der Alleskönner und Besserwisser, unabhängig auch von den Wünschen von Anzeigenkunden, unparteilich aber nicht unparteiisch. Eine Redaktion, die ihr Handwerk versteht und mit bemerkenswertem Engagement, erheblichem Rechercheaufwand und gelegentlich Anflügen von Zynismus Woche für Woche ein gutes, besser ein sehr gutes Blatt zu machen versucht.

Das gelingt nicht immer. Aber auch nicht - wie seit Jahrzehnten behauptet wird - immer seltener. In Zeiten, in denen sich der politische Diskurs im Mehltau verliert und die Politszene in großkoalitionären Nebelschwaden verschwimmt, können auch die besten Journalisten kein Feuerwerk zünden.

Keine leichte Zeit also für unseren rüstigen Sechziger und meinen Nach-Nachfolger Stefan Aust, der den Jubilar und seine Enkel, "Spiegel TV" und "Spiegel online", mit gutem Auge, sicherer Nase und fester Hand steuert.

Auch für ihn werden die Zeiten nicht leichter, weder intern noch extern: Der Magazinmarkt schrumpelt nun einmal vor sich hin, Auflagenverluste werden selbst dem Marktführer nicht erspart bleiben.

Ärger noch könnte die drohende Auseinandersetzung um die "Spiegel"-Mitarbeiter-KG werden, die dank Augsteins Großzügigkeit heute über 50,5 Prozent der Anteile verfügt und deren Sprecher in der Gesellschafterversammlung des Verlags den bestimmenden unternehmerischen Einfluss ausüben können - wenn sie es denn könnten.

Zweifel sind erlaubt. Die Sprecher der KG wurden bisher gewählt als seien sie Betriebsräte, die es "denen da oben mal zeigen" sollen. Ob die in zwei Monaten fällige Neuwahl einmal mehr diesem Muster folgt, wird gut drei Jahre nach dem Tod des Patriarchen entscheidender sein als sich meine Ex-Kollegen das heute vorstellen.

Aber das ist eine andere Geschichte. Und über die können wir reden, wenn der Jubilar ins Rentenalter kommt, sei es mit 65 oder mit 67.