Abschied: Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher zieht nach acht Jahren in Hamburg Bilanz.

Hamburg. Er hat 40 Opern-Produktionen dirigiert, davon elf Premieren, und Dutzende von Philharmoniker-Konzerten. Er hat ein Musikfest an den Start gestellt - und miterlebt, wie es kurzsichtig weggespart wurde. Er erlebte zwei Eklats, die Musik zu Politik werden ließen. Es gab Ärger um die Finanzierung von Philharmonikern und Staatsoper - Metzmacher wollte langfristige Planungssicherheit, die ihm vertraglich zugesichert war. Er bekam sie nicht. Er drohte mit Rücktritt und entschied sich für die Nichtverlängerung seines Vertrags. Die ersten grauen Haare wuchsen.

Irgendwann hatte er einige Kilo mehr und dann auch wieder weniger. Er hat erfolgreich ein Buch geschrieben. Und rechtzeitig einen neuen Chefposten in Amsterdam gefunden. So in etwa könnte eine kurze Bilanz von Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher über seine Zeit an der Hamburgischen Staatsoper aussehen, die mit dieser Saison endet. Die lange Version fällt persönlicher aus.

ABENDBLATT: Sind Sie gut im Abschiednehmen?

INGO METZMACHER: Wenn man so viel Herzblut in seine Arbeit investiert hat wie ich hier in Hamburg, kann einem der Abschied unmöglich leichtfallen.

ABENDBLATT: Was haben Sie für sich in und von Hamburg gelernt?

METZMACHER: Das läßt sich in Worten kaum beschreiben. Ungeheuer viel. In sehr kurzer Zeit mußte ich sehr viel Repertoire lernen. Ich mußte in die Rolle des Generalmusikdirektors erst hineinwachsen. Als Albin Hänseroth weg war, mußte ich teilweise seine Aufgaben mitübernehmen. Da gab es schon Situationen, in denen ich an meine Kapazitätsgrenze gestoßen bin.

ABENDBLATT: Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie der Kulturbehörde Ihre Kündigung schickten? Erleichterung über den Schlußstrich? Oder Hoffnung auf einen Stimmungsumschwung dort?

METZMACHER: Erleichterung. Dem ging eine längere Phase der bitteren Erkenntnis voraus, daß ich in Hamburg nicht bleiben könnte. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, unter diesen Bedingungen noch zweieinhalb Jahre zu arbeiten, bin aber sehr froh, daß ich's getan habe, weil man so eine Strecke bis zum letzten Meter gehen muß.

ABENDBLATT: Was würden Sie als Ihren größten Erfolg bezeichnen?

METZMACHER: Daß ich mir von Anfang bis Ende treu geblieben bin, daß ich an meiner Linie festgehalten habe. Das kann man am Konzertprogramm sehr gut ablesen, am Musikfest, an den Silvesterkonzerten und an der Arbeit in der Oper, in der Wahl des Repertoires und der durchgehenden Arbeit mit Konwitschny.

ABENDBLATT: Und der größte Mißerfolg?

METZMACHER: Daß es eben doch zu einem Punkt gekommen ist, an dem ich gespürt habe, ich habe nicht genügend Rückhalt in der Politik und vielleicht auch im Haus, um länger zu bleiben.

ABENDBLATT: Gibt es nach elf Hamburger Inszenierungen mit Konwitschny weitere Pläne andernorts?

METZMACHER: Vage Ideen gibt es zwar, aber wir legen jetzt erst mal, so für drei bis fünf Jahre, eine schöpferische Pause ein.

ABENDBLATT: Gehen wir doch mal einige Eckdaten Ihrer Amtszeit durch. Die Lohengrin-Premiere?

METZMACHER: Unvergeßlich. Als wir den vor ein paar Tagen spielten und Konwitschny am Ende mit mir auf die Bühne kam, ging wieder eine heftige Auseinandersetzung los. Diese Inszenierung hat etwas Zeitloses, sie regt immer noch auf, das finde ich toll.

ABENDBLATT: Das erste Musikfest-Konzert?

METZMACHER: Auch unvergeßlich. Der Saal war voll. Und dafür habe ich die Hamburger immer geliebt, daß sie zu besonderen Anlässen dann auch da und auch sehr dankbar sind.

ABENDBLATT: Die Aufregung um Gregor Gysi, den Sie für eine Rede zum 3. Oktober eingeladen haben?

METZMACHER: Hat mich sehr schockiert. Weil ich nie vorher öffentlich so angegriffen worden bin, in der Hitze eines Wahlkampfs und, wie ich fand, auch sehr zu Unrecht. Und weil ich nicht klug genug war, überhaupt nicht darauf einzugehen.

ABENDBLATT: Der Eklat um Stockhausens Musikfest-Konzert kurz nach dem 11. September, weil er die Anschläge in New York mit einem Kunstwerk verglichen hatte?

METZMACHER: Das war vielleicht der bitterste Moment für mich. Ich war da auch im Visier.

ABENDBLATT: Der Moment, an dem klar war, daß Sie Robert Wilsons Inszenierung von Messiaens "Saint François" dem Rotstift würden opfern müssen?

METZMACHER: Sehr traurig. Das wäre, da bin ich absolut sicher, ein totales Highlight geworden.

ABENDBLATT: Das Aus fürs Musikfest?

METZMACHER: Traurig. Aber daß es nach meinem Weggang nicht überleben würde, war mir klar.

ABENDBLATT: Welches Philharmoniker-Konzert war für Sie exemplarisch für Ihre programmatische Arbeit?

METZMACHER: Der Übergang von Beethovens "Leonore 3"-Ouvertüre zu Nonos "Canto sospeso".

ABENDBLATT: Was war Ihre größte Enttäuschung?

METZMACHER: Daß es nicht gelungen ist, die Arbeit mit Konwitschny medial so zu dokumentieren, wie es woanders selbstverständlich gewesen wäre. Ich halte das für ein sehr großes Versäumnis des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

ABENDBLATT: Was bleibt den Philharmonikern, mit denen Sie es nicht immer einfach hatten, von der Arbeit mit Ihnen im Kollektivgedächtnis?

METZMACHER: Respekt. Daß ich ein aufrichtiger, ehrlicher Mensch war und hoffentlich nie unfair.

ABENDBLATT: Nach Ihrem Antrittskonzert maulten manche Abonnenten, ihnen sei diese Musik zu modern. Jetzt beschweren sich manche, wenn die Programme nicht modern genug sind.

METZMACHER: Das ist doch ein Erfolg.

ABENDBLATT: Schon, aber hätten Sie das damals erwartet?

METZMACHER: Das habe ich damals nicht mitbekommen, ich habe aber gespürt, daß durch die Kontinuität eine gewisse Überzeugungsarbeit stattgefunden hat.

ABENDBLATT: Wann und mit was werden Sie wieder in Hamburg zu hören sein?

METZMACHER: Erst mal eine ganze Zeit nicht, ich bin ein Freund von klaren Schnitten. Wird die Elbphilharmonie gebaut, komme ich gern als Gastdirigent zurück.

ABENDBLATT: Wie beurteilen Sie die Diskussion darum?

METZMACHER: Der Entwurf ist spektakulär, ein solcher Saal kann enorme Impulse aussenden. Mir fehlt aber eine Auseinandersetzung darüber, was dort inhaltlich passieren soll.

ABENDBLATT: Einer der prägendsten Charakterzüge Ihrer Amtszeit: die ausgeprägte Sturheit.

METZMACHER: Ich würd's freundlicher ausdrücken. Kontinuität.

ABENDBLATT: Haben Sie sich nie vorgenommen, Ihr Gegen-die-Wand-Pensum zu reduzieren?

METZMACHER: Ich hab gar nicht das Gefühl, daß ich so oft gegen die Wand gelaufen bin. Die schwierigen Momente hatten nichts mit Musik zu tun. Das waren Ereignisse größer als ich.

ABENDBLATT: Die acht Jahre Hamburg waren die wichtigsten in Ihrem Leben?

METZMACHER: Absolut.

ABENDBLATT: Wenn man sich die Fotos von Ihnen ansieht - die Unterschiede sind beachtlich. Als Sie anfingen, blickte einen ein sehr unbedarfter Dirigent an.

METZMACHER: Auch ich erschrecke ein bißchen vor der Unbekümmertheit, mit der ich da mal reingegangen bin. Aber anders wäre es auch nicht möglich gewesen.

ABENDBLATT: Später kam etwas "Joschkafischerhaftes" dazu.

METZMACHER: Guter Vergleich, obwohl ich mich nicht auf eine Stufe stellen will.

ABENDBLATT: Waren die Kilos, die jetzt wieder weg sind, auch eine Schutzschicht?

METZMACHER: Wahrscheinlich. Durch den kritischen Moment, als mir klar wurde, daß ich hier nicht bleiben kann, hat sich etwas gelöst. Es war eine Lebensprüfung, so eine Situation zu bestehen und sich dabei treu zu bleiben.

ABENDBLATT: In unserem ersten Interview sagten Sie: "Das ganze Projekt Hamburg ist für mich ein großes Abenteuer." Und jetzt? Gescheitert oder bestanden?

METZMACHER: Das Abenteuer ist gut ausgegangen. Andererseits: Wenn sich irgendwo, irgendwann eine Möglichkeit ergeben würde, bei der ich nicht unumstritten wäre und mit Widerstand rechnen müßte, würde ich, glaube ich, nicht nein sagen.

ABENDBLATT: Sie funktionieren besser mit Gegenwind?

METZMACHER: Das würde ich so nicht sagen. Aber aus Reibung entsteht bekanntlich Energie. Wenn sich alle immer liebhaben, muß das ja nicht nur positiv sein.