St.-Pauli-Theater: Die Hamburger Theatermacherin Gilla Cremer spielt die legendäre Diva. Am Mittwoch ist Premiere

Hamburg. Das Leben der Hildegard Knef auf die Bühne zu bringen ist ein Wagnis. So hoch sind die Höhen, so tief die Tiefen, die diese Künstlerin, die 2002 mit 76 Jahren gestorben ist, durchlebt hat. Die Hamburger Schauspielerin Gilla Cremer (48), die mit Soloprojekten wie "Die Kommandeuse" oder "Vater hat Lager" überzeugte, nimmt das Wagnis auf sich. Am 3. 11. hat ihr Solo-Abend "So oder so - Hildegard Knef" in der Regie von Hartmut Uhlemann Premiere im St.-Pauli-Theater.

ABENDBLATT: Welches ist Ihre früheste Erinnerung an die Knef?

GILLA CREMER: Als ich ein Kind war, lag bei uns im Wohnzimmer immer eine Langspielplatte der Knef. Ich sehe noch genau das Cover vor mir: schwarzgemalte Augen, lange Wimpern. Ich mochte sie. Ich glaube, mein Vater mochte sie ebenfalls, vermutlich aus anderen Gründen.

ABENDBLATT: Später wird sich Ihr Verhältnis zu Hildegard Knef vermutlich verändert haben.

CREMER: Ja, klar. In den 70er Jahren fand ich sie eher peinlich, Schlager für Mamis und Omis und Tanten. Ich hörte Bob Dylan, die Doors und Wolf Biermann.

ABENDBLATT: Und heute?

CREMER: Heute frage ich mich, worin eigentlich der Unterschied besteht zwischen einer Hildegard Knef, die in "Für mich soll's rote Rosen regnen" sang: "Ich will alles oder nichts" (was wir damals blöde fanden), und einem Jim Morrison, dem Sänger der Doors, der zur selben Zeit sagte: "We want it all and we want it now" (was wir total toll fanden!). Vielleicht weil rote Nelken gerade revolutionär waren, rote Rosen aber als spießig galten?

ABENDBLATT: Sie sind dann durch die Lektüre der Knef-Biographie "Der geschenkte Gaul" darauf gekommen, ein Stück über die Künstlerin zu machen. Darin spielen Sie die junge und die alte Knef - welche ist faszinierender?

CREMER: Die junge Knef, so wie ich sie begreife, ist schon mit 16 Jahren so eigen wie "die alte". Ich liebe die Szene, wie sie - immer nach dem Motto "Ich will! Ich will!" - als junges Mädchen einem Ufa-Boß auflauert, sich in seiner Jacke festkrallt, um ihm überfallmäßig mitzuteilen, daß sie Schauspielerin werden will und er sich unbedingt ihre Probeaufnahmen anschauen muß! Die "alte Knef" ist interessanter, weil sich in ihr mehr Erfahrung, mehr Widersprüchliches spiegeln.

ABENDBLATT: Gab es besondere Schwierigkeiten, diese beiden Rollen zu spielen?

CREMER: Ehrlich gesagt, hatte ich in der Probenphase sehr viele Glücksmomente und kaum Schwierigkeiten. Das mag daran liegen, daß ich nie wirklich versucht habe, "die Knef" nachzuspielen oder zu verkörpern, denn das war gar nicht mein Interesse. Ich wollte einfach ihre Lebensgeschichte erzählen . . .

ABENDBLATT: So einfach scheint mir das gar nicht zu sein . . .

CREMER: Nein, natürlich nur soweit das an einem Theaterabend möglich ist. Und ich wollte dies ausschließlich mit ihren eigenen Texten tun. Ich spreche diese Texte unglaublich gern, und manch eines ihrer Lieder berührt mich bei jeder Probe aufs neue.

ABENDBLATT: Wie sah Ihre Arbeit an dem Knef-Projekt aus?

CREMER: Ich habe drei Monate lang - und das wirklich von morgens bis nachts - alles durchforstet, was ich von Hilde Knef in die Finger bekommen konnte: die fünf Bücher, die sie geschrieben hat, stapelweise Interviews. Ich habe versucht, mir jedes Lied, das sie gesungen hat, wenigstens viermal anzuhören, aber geschafft habe ich noch immer nicht alle Lieder. Ich habe mir alle verfügbaren Dokumentationen über sie angeschaut und natürlich die Filme, in denen sie gespielt hat.

ABENDBLATT: Haben Sie Kontakt zur Familie aufgenommen?

CREMER: Ich hatte das große Glück, Hildegard Knefs Ehemann Paul von Schell kennenzulernen, der auch zur Premiere kommen wird. Er und ihr langjähriger Manager und Verleger, Thomas Jost, haben mich sehr unterstützt und mir vor allem das Vertrauen geschenkt, Texte und Lieder nach meiner eigenen Vorstellung ganz neu zusammenstellen zu dürfen.

ABENDBLATT: Nach welchen Kriterien wählten Sie die Texte aus?

CREMER: Nach persönlichen und historisch relevanten. Hinter jeder Biographie malt sich ja ein bestimmter zeitlicher Hintergrund: Bei Hilde Knef trägt er die Farben der Nazi-Zeit, des Krieges, des Wirtschaftswunders, des Kalten Krieges. Wir selbst stehen - je nach Alter - auch vor diesem Hintergrund, und indem ich davon erzähle, wird ihre Geschichte teilbar, wird sie auch zu einer Geschichte von uns oder unseren Eltern. So oder so.