Treffen mit Dalí - der Hamburger Fotograf Bokelberg erzählt

ABENDBLATT: Sie sind im Sommer 1965 eine Woche in Port Lligat gewesen. Wie haben Sie Dalí erlebt?

WERNER BOKELBERG: Ich traf ihn zunächst in Paris im Hotel Meurice, in dem er jeden Sommer wohnte. In der Kriegszeit hatte er im Ritz gewohnt. Ein Angestellter hat mir eine unglaubliche Geschichte erzählt: Dalí bestellte eines Abends ein Pferd aufs Zimmer. Als das Pferd gebracht wurde, war er wütend, weil er ein geschlachtetes Pferd haben wollte. Sie haben ihm ein paar Stunden später ein geschlachtetes Pferd aufs Zimmer gebracht. Das ist wohl eine der Storys, warum er nach dem Krieg im Meurice wohnte. Ich kam mit Walter Schünemann hin, dem Schreiber vom "Stern". Dalí machte uns im Morgenrock auf und sagte: "Ihr könnt mich jetzt begleiten, ich klau etwas für euch im Drugstore auf den Champs- Élysee, oder ihr könnt mich etwas länger in Port Lligat besuchen". Die Bedingung war, ein Mädchen mitzubringen. Der erste Eindruck war der eines absolut generösen Mannes, der mit uns schon angefangen hatte, ein Spiel zu spielen.

ABENDBLATT: Dann sind Sie nach Port Lligat gefahren?

BOKELBERG: Ein paar Wochen später. Wir hatten die Dänin Lotte Tarp gefunden. Wir kamen irgendwann todmüde an, und er war voller Energie. Er hat das Mädchen gesehen und sich sofort an ihr entzündet. Er wollte uns loswerden. Das hat er genial gelöst. Er schickte uns los, drei Zentner Bohnen zu kaufen. In Port Lligat gabs nicht eine einzige Bohne. Wir sind auf alle möglichen Märkte gefahren, waren bestimmt fünf Stunden unterwegs. Als wir zurückkehrten, kam uns eine unglaubliche Prozession entgegen. Lotte auf allen Vieren ging an einem Cartier-Halsband ohne das geringste Kleidungsstück, daneben zwei Uniformierte der Guardia Civiles, Dalí, sein Captain Moore, der Bürgermeister und viele Leute. Sie waren auf dem Weg zum Swimmingpool. Dalí muss unsere Zeit sehr gut kalkuliert haben, die Bohnen kamen gerade recht. Er band das Mädchen unten im Pool an, zusammen mit seinem kleinen Ozelot und einer Schale Milch. Dann setzte er sich auf den Beckenrand und schüttete die Bohnen herunter. Lotte fing an zu weinen, der Ozelot hatte sie furchtbar gekratzt.

ABENDBLATT: Von der Prozession gibt es keine Bilder?

BOKELBERG: Nein. Wir waren so perplex. Damals war man noch nicht so clever, dass man immer eine Kamera umhängen hatte.

ABENDBLATT: Gab es zwei Gesichter, den eigentlichen Dalí und die Maske?

BOKELBERG: Das war so perfekt gespielt, das hat man nicht gemerkt. Das hat er wohl selbst nicht gemerkt und auch seine Frau Gala nicht. Das war sein zweites Ich geworden. Wenn wir morgens in sein Haus kamen, lief er herum und suchte den Kot von seinem Ozelot, um ihn sich in den Bart zu schmieren. Er sagte, der Tag bringt kein Geld, wenn er nicht Ozelotkot im Bart hat.

ABENDBLATT: Haben Sie auch Gala erlebt?

BOKELBERG: Gala hat er mehr oder weniger als Requisite genutzt. Sie hat ein völlig eigenes Leben geführt. Sie ist normalerweise eine halbe Stunde später gegangen, nachdem wir angekommen sind. Sie ist mit einem wunderbaren Jüngling aufs Meer gefahren und meistens erst abends wiedergekommen. Der Jüngling war ungefähr 60 Jahre jünger als sie.

ABENDBLATT: Kann es sein, dass bei Dalí auch Drogen im Spiel waren?

BOKELBERG: Dalí war selbst die Droge. Die Droge war für ihn das Geld, sein Körper, sein Pipi waren für ihn absolut wichtig, das war Gesprächsstoff. Das hat uns eine Stunde am Tag gekostet. Lotte nicht. Lotte hat sich unendlich verliebt. Er ist eine Stunde am Tag mit ihr verschwunden. Das war die Droge für Lotte.

Interview: RUTH KASTNER