CHANSONS sind wieder im Trend: Zwei Französinnen wollen den deutschen Markt erobern.

Hamburg

Unsere französischen Nachbarn waren immer schon ein wenig eigen. Eisern verteidigen sie ihr Liedgut gegen den Einfluss der Kulturindustrie aus der anglophilen Welt. International blieben die Platten allerdings meist Ladenhüter. Von raren Hits wie Alizee mit "Moi . . . Lolita" oder Vanessa Paradis' "Joe le Taxi" mal abgesehen. Bis im Fahrwasser des Filmerfolgs "Die fabelhafte Welt der Amelie" und des Soundtracks von Yann Tiersen ein totgeglaubter Musikstil Renaissance feierte: das Chanson, hierzulande verbunden mit Namen wie Serge Gainsbourg, Françoise Hardy oder Jacques Brel. Seine Erben präsentieren das Chanson von Grund auf renoviert und in leuchtender Popjugendlichkeit. Sie heißen Dominique A., Katerine, Françoise Breut und Benjamin Biolay. Der Beau erinnert schon optisch an Gainsbourg, die Ikone aller französischen Chansonniers. Biolay kreuzt Songwriting, James-Bond-Soundtrack und Chanson zu einem betörenden Sound. Seit den beiden exzellent gemischten Franco-Samplern "Le Pop" mit den wichtigsten Vertretern der "Nouvelle Scène Française" kennt man ihn auch hier.

Auf "Le Pop" sind auch zwei junge Sängerinnen zu finden, die erstmals Alben in Deutschland herausbringen. Coralie Clement ist Benjamin Biolays (32) kleine Schwester. Und der ist nicht nur mit seinen eigenen Alben "Rose Kennedy" oder "Negatif" erfolgreich, sondern auch als Songschreiber, Produzent und begnadeter Arrangeur. Eines Tages bat er sie ins Studio. Sie sollte eine Komposition singen, die für Jane Birkin gedacht war. Als sie ging, hatte sie ein komplettes Album eingespielt: "Salle des Pas Perdus" - mit Kompositionen ihres Bruders. Und dort regiert die Liebe. "Im französischen Chanson ist die Liebe doch das Wichtigste", sagt Coralie Clement. Stimmlich entspricht die Brünette perfekt dem Klischee der hauchenden Französin à la Françoise Hardy. Nur jünger und frecher. Die flirrenden Streicher-Arrangements sind es, die ihrer Musik zu facettenreichen Licht- und Schattenspielen verhelfen.

Wie ein Film schildert das Album die Erfahrungen eines jungen Mädchens, genannt Lou. Das Spiel aus Annäherung, Glück, Trauer und Verlust. "Sie ist ja noch jung. Also gibt es Hoffnung", sagt die Sängerin. Die 23-Jährige plagt vor allem die Angst, etwas zu versäumen. "Ich bin Perfektionistin. Ich musste aber lernen, dass man nicht alles haben kann." Diesen Wesenszug hat ihr Bruder in dem heiteren Chanson "Le Jazz Et Le Gin" verewigt. Darin singt sie davon, alles zu wollen, "Jazz und Gin", "Slow und Swing", "Pong und Ping". Heute hat sie ihr Studium an den Nagel gehängt und will nach dem Erfolg ihres ersten Albums in Frankreich künftig selbst Songs schreiben.

Diese Kunst beherrscht eine andere Französin, Keren Ann Zeidel, genannt Keren Ann, perfekt. Auch sie stammt aus dem Dunstkreis von Benjamin Biolay, hat mit ihm zwei hochgelobte Alben eingespielt und Songs für andere geschrieben, darunter den Sensationserfolg "Chambre avec Vue" für die 85 Jahre alte Chansonlegende Henri Salvador. Das neue Werk der in Holland aufgewachsenen 29-Jährigen, "Not Going Anywhere", markiert eine Wende. Ann singt akzentfrei englisch. Es ist die letzte Zusammenarbeit mit Biolay, der fünf Songs mit seinen opulenten Orchestersounds verfeinert hat. "Wenn man lange mit jemand arbeitet, fängt man an, immer den gleichen Song zu schreiben", erklärt Ann. Ihre feinfühligen Songs erzählen von den Momenten, wo ein ganzes Leben umbricht, also wieder von Augenblicken der Liebe und der Trennung. Oft bleiben sie in der Schwebe. Von Gainsbourgs Gesang sind sie inspiriert und von den Gitarren der Folk-Ikone Joni Mitchell. Manche Lieder sind skurril, wie das poppige "Sailor And Widow", die Geschichte einer Witwe, die jeden Mann, den sie liebt, in Flammen aufgehen lässt. Weil sie's nicht anders kennt. Ann: "Das ist nicht traurig. Vielleicht melancholisch. Aber wir brauchen die Melancholie, um Freude empfinden zu können." Coralie Clement und Keren Ann verstehen es, davon ein Lied zu singen.

Le Pop I und Le Pop II : Chansons der "Nouvelle Scène Française" (Melting Pot/Groove Attack). Benjamin Biolay: Rose Kennedy und Negatif (beide Labels/Virgin). Coralie Clement: Salle Des Pas Perdus und Keren Ann: Not Going Anywhere (beide Capitol/EMI).