Für den Literaturnobelpreisträger Günter Grass waren im deutschen Einigungsprozess die „Prämien für die Abwickler“ in der damaligen Treuhandanstalt „Vorläufer der heutigen Boni- Zahlungen“ im „wildgewordenen Raubtierkapitalismus“.
Berlin. Für den Literaturnobelpreisträger Günter Grass waren im deutschen Einigungsprozess die "Prämien für die Abwickler" in der damaligen Treuhandanstalt "Vorläufer der heutigen Boni- Zahlungen" im "wildgewordenen Raubtierkapitalismus".
Der 81 Jahre alte Schriftsteller ließ es auch am Mittwochabend in der ihm nach wie vor "nicht geheuren Hauptstadt" Berlin nicht an deutlichen Worten über die Fehler im deutschen Einigungsprozess mangeln. In dem von Claus Peymann geleiteten Berliner Ensemble las er erneut aus seinem Tagebuch "Unterwegs von Deutschland nach Deutschland".
Diese Fehler veranlassten ihn, auch 20 Jahre nach dem Fall der Mauer "den neuen Sonntagsreden bei den jetzigen Jubelfeiern in die Suppe zu spucken", wie sich der Schriftsteller im Gespräch mit Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse ausdrückte.
Die Versäumnisse von 1989/90 hätten dazu geführt, dass zum Beispiel "die Distanz zwischen Ost und West noch heute nach 20 Jahren und vor allem auch hier in der Hauptstadt spürbar ist", meinte Grass. Sich selbst bezeichnete er ausdrücklich als "Verfassungspatriot". Er habe sich aber seinerzeit oft die Frage gestellt: "Wird das noch mein Deutschland sein?"
Immer noch könne und müsse man aus Fehlern lernen, wozu allerdings immer wieder engagierte Bürger erforderlich seien, die sich aktiv an der Demokratie beteiligten. "Ich jedenfalls werde mich daher in diesen beschissenen Wahlkampf einschalten", kündigte der Schriftsteller an, der sich seit den 60er-Jahren für die SPD einsetzt.
Der frühere DDR-Bürgerrechtler Thierse räumte ein, er und viele andere hätten damals an einen mehrjährigen Prozess der Vereinigung gedacht. "Die große Ungeduld in der Bevölkerung hat uns regelrecht den Boden unter den Füßen weggerissen." Bei aller Kritik am Verlauf der Vereinigung dürfe man nicht die "irrsinnigen Summen" vergessen, die seit 1990 als Solidaritätszahlungen in den Osten Deutschlands geflossen seien und ohne die die ostdeutschen Kommunen nicht lebensfähig gewesen wären.
Laut Thierse sind von 1991 bis 2005 etwa 2,3 Millionen Deutsche vom Osten in den Westen gezogen, während es umgekehrt 1,4 Millionen gewesen seien. "Zwar immer noch ein Minus, aber eigentlich ist das doch keine schlechte Entwicklung, diese Art von Mischung finde ich ganz hoffnungsvoll", meinte Thierse. "Vielleicht sollte man Bayern eine Anreizprämie für den Umzug in die Uckermark geben", meinte Grass dazu.
Es berühre ihn, mit welcher Empathie Grass damals den Menschen in der DDR und noch heute den Landsleuten im Osten Deutschlands mit ihren Sorgen und Ängsten begegnet sei, sagte Thierse. Seit 1990 bitte er "beinahe flehentlich" darum zu unterscheiden zwischen dem zu Recht gescheiterten System in der DDR und den Menschen mit ihren Biografien.
Grass stimmte zu und meinte, das Wort von der DDR als "Fußnote der Geschichte", wie es auch sein (inzwischen verstorbener) Kollege Stefan Heym prophezeit habe, sei "eine Frechheit" auch gegenüber den Menschen. Beide deutschen Nachkriegsstaaten seien Teil der deutschen Geschichte mit all ihren Folgen seit 1933, auch wenn sie sie in unterschiedlichem Ausmaß hätten tragen müssen.