In Brechts “Galilei“ fällt der Satz, als Galilei seine Erkenntnis auf Druck der Kirche widerrufen hatte: “Unglücklich das Land, das keine Helden...

In Brechts "Galilei" fällt der Satz, als Galilei seine Erkenntnis auf Druck der Kirche widerrufen hatte: "Unglücklich das Land, das keine Helden hat." Doch Galilei erwidert: "Nein. Unglücklich das Land, das Helden nötig hat!" Das heißt, nur in schlechten, in finsteren Zeiten braucht man wahre Helden. Der so kluge Brecht hat in seinen peinlichsten Gedichten in einem Ausrutscher Stalin zum Helden erkoren, um es sich im Stalinismus ohne überflüssiges Heldentum einzurichten. Schwamm drüber.

Helden zu haben nach Siegen und ihrer lange zu gedenken ist nicht schwer. Wir Deutschen haben 1870/71 zum letzten Mal einen Sieg gefeiert - und Bismarck und Moltke und Wilhelm I. und den Sedanstag dazu: "Von nun an", um mit Hildegard Knef zu sprechen, "ging's bergab."

Kein Wunder bei den zerrissenen, missglückenden, ja teilweise finsteren Geschichtserfahrungen. Die Franzosen, um an unsere Nachbarn zu denken, haben es da leichter. Sie feiern Napoleons Siege in Straßennamen und Denkmälern auch nach dessen endgültiger Niederlage, nach seinem Waterloo und, vorher, nach der Leipziger Völkerschlachtsniederlage. Weil sich auch in den Schlachten des Kaisers seine Siegeszüge im Namen der "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" mit der Verbreitung des Rechts und der Demokratie verknüpften - noch dann, als er längst Usurpator und Diktator war. Aber wen hätten wir Deutschen nach 1945 feiern sollen? Die Geschichte des 20. Juli 1944 spricht für unsere Geschichtszerrissenheit Bände. Noch tief in die 60er-Jahre hinein galten die Attentäter des 20. Juli, die Männer um Stauffenberg und um Goerdeler, bei vielen schlicht als Verräter, die Hitler als Kriegsherrn in den Rücken gefallen waren. Und die dabei auch noch gescheitert waren. Glücklicherweise gescheitert, wie viele von der Niederlage, die wir uns doch selbst zuzuschreiben hatten, verbittert dachten. Die Unbelehrbaren wählten Otto Ernst Remer und seine rechtsradikale SRP in die Landtage, nicht obwohl der Kommandeur des Berliner Wachbataillons, der bei der Niederschlagung des Umsturzversuchs des 20. Juli unter Goebbels' Anleitung eine entscheidende Rolle spielte. (Er verhaftete die gegen Hitler putschenden Berliner Akteure.) Sondern gerade deswegen.

Dagegen haben die Angehörigen der Attentäter aus falscher Scham und richtiger Erkenntnis der deutschen Nachkriegsstimmung lange noch die Pläne und Aktivitäten ihrer hingerichteten Verwandten zu verschweigen und zu verbergen versucht. Denn die galten eher als Verräter denn als Helden. Auch in der DDR genossen die Helden des 20. Juli lange Zeit, eigentlich bis zuletzt, kein Ansehen. Es war (ähnlich wie bei den von Goebbels 1944 mobilisierten Volksgenossen) in der offiziellen DDR-Sicht eher eine Verschwörung einer reaktionären Militär- und Adelsclique, die den Versuch unternommen hatte, Hitler zu stürzen.

Die ganze Zwiespältigkeit der Heldenverehrung nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt sich an der Figur von Feldmarschall Rommel, dem "Wüstenfuchs". Dessen heldenhafte Niederlage in Afrika ließ sich ungehemmt feiern, weil er als Oberbefehlshaber Hitlers im besetzten Frankreich ein Mitwisser und Widerstandskämpfer des 20. Juli war. Er war von Hitler für den Preis eines Staatsbegräbnisses in den Selbstmord gezwungen worden, der als Kriegstod kaschiert worden war.

Schindler, der große (gewiss aber nicht einzige) Retter der ihm als Zwangsarbeiter anvertrauten Juden, war den Deutschen weitgehend unbekannt - jedenfalls, bevor Steven Spielberg den Kriegswirtschaftsunternehmer, der auch die Maske des Nazis trug, in seinem Hollywood-Film "Schindlers Liste" weltweit bekannt machte. Ob die Heldenverehrung in Deutschland für ihn besonders groß ist, mag bezweifelt werden; für scheinbar schillernde Figuren hat die Walhalla der Heldenverehrung wenig Plätze.

Allerdings ist Stauffenberg durch die Tom-Cruise-Verfilmung weltweit bekannt geworden. Zum populären Helden in Deutschland taugt der mutige Mann und aufrechte Soldat nach dem Film jedoch weniger, da man über das zweifelhafte Image des Sektenmitglieds Tom Cruise schwer hinwegzusehen vermag - noch dazu, da Tom Cruises' eher hölzern-schablonenhafte Darstellung dem Charakter des wahren Stauffenbergs nichts Wesentliches hinzufügt.

Wenn man ehrlich ist, erfreuen sich auch andere Widerständler einer eher pflichtschuldigen Erinnerung im deutschen Gedächtnis: etwa die Geschwister Scholl oder der Hitler-Attentäter Elser.

Die Annalen der Geschichtsheroisierung bevorzugen strahlende Helden. Wo ihnen die Geschichte keinen Raum lässt, haben sie es schwer. Die Deutschen haben keinen großen gewaltlosen Helden wie Mahatma Gandhi. Aber selbst von dem wird in Bezug auf die deutsche Geschichte berichtet, dass er den Juden in Deutschland während der Vorbereitungs- und Planungsphase des Holocaust zu passivem gewaltlosem Widerstand geraten haben soll. Ein eher aberwitziger Rat!