Im Kunsthaus geht es um ein dunkles Kapitel der Hamburger Geschichte. Die Ausstellung ist ein großer Schritt zur Gedenkstätte in der HafenCity.

Hamburg. Der Lohseplatz ist ein trostloser Ort, für Besucher sozusagen in der Mitte von nichts. Parkplatz, Rasenfläche, einzelne Bäume, eng begrenzt vom Gelände einer Spedition und einigen unwirtlichen Gebäuden; im Hintergrund fahren Züge vorbei und LKW rumpeln über das Kopfsteinpflaster. Ein abseitiger Platz, der lange Zeit verborgen im Freihafen lag, also kaum zugänglich war. Aber wer hätte auch hierherkommen wollen? Nur noch wenige Hamburger dürften gewusst haben, dass dieser Ort ein historischer ist.

Zwei Hinweistafeln auf der Rasenfläche erinnern jedoch daran, dass hier früher der Hannoversche Bahnhof war, den Hamburg von 1940 bis 1945 als Ausgangspunkt für die Deportationszüge zu Gettos und Konzentrationslagern im Osten nutzte. Heute liegt dieses Areal inmitten der rapide wachsenden HafenCity, das Maritime Museum und das Automobilmuseum sind nah, die Stadt ist an ihre verdrängte Geschichte herangewachsen und hat den vergessenen Ort wiederentdeckt. Seit 2004 entwickelt die Kulturbehörde für den Senat in Zusammenarbeit mit Historikern und Opferverbänden ein Konzept für eine angemessene Gedenkstätte im Rahmen der HafenCity-Bebauung. Bis zur Vollendung eines solchen Erinnerungsortes wird es noch bis 2017/18 dauern, denn erst dann wird die gesamte Fläche dafür zur Verfügung stehen. Ein großes Etappenziel aber ist schon jetzt erreicht: Gestern eröffnete Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust im Kunsthaus, das etwa zehn Minuten Fußweg vom Lohseplatz entfernt liegt, die Ausstellung "In den Tod geschickt".

Am 20. Mai 1940 war am Hannoverschen Bahnhof der erste Deportationszug mit 910 Sinti und Roma nach Belzec gestartet. Der 20. und letzte Zug mit 194 Hamburger Juden brach am 14. Februar 1945, zwei Wochen nach der Befreiung von Auschwitz, nach Theresienstadt auf. Zu einem noch für den Juni geplanten Transport kam es nicht mehr. Mindestens 7692 Menschen wurden vom Hannoverschen Bahnhof aus deportiert - weniger als zehn Prozent überlebten den Nazi-Terror.

Mitarbeiter der Forschungsstelle für Zeitgeschichte haben sozusagen den historischen Ort rekonstruiert, indem sie im Kunsthaus dokumentieren, was hier stattfand. Doch mindestens ebenso wichtig ist es, dass sie Opfer zu Wort kommen lassen. Und zwar alle Gruppen, wie Kuratorin Linde Apel betonte. Es sei jedenfalls erfreulich, dass jüdische Opferverbände sowie die Union der Roma und Sinti das Projekt unterstützt hätten - nicht zuletzt durch ihr Vertrauen und mit noch nie zuvor öffentlich gezeigten Leihgaben.

Das Ausstellungskonzept verfolgt konsequent den Ansatz, Geschichte zugleich über Dokumente, aber auch über Geschichten von Menschen zu erzählen, die diese Zeit erlitten haben. Biografien werden auf Schautafeln erzählt, und Interviews von Verfolgten sind auf Video-Audio-Stelen zu hören. "Gerade junge Besucher sollen diese Gesichter sehen und den Schrecken spüren, den ihre Erinnerungen noch heute auslösen", sagt Linde Apel.

Doch auch von den Tätern ist die Rede, ihre Biografien werden zum Teil bis weit nach dem Krieg weiterverfolgt. Und sogar die Verstrickung der scheinbar unbeteiligten Hamburger Bevölkerung zum Thema. Mehr als 100 000 Hamburger profitierten von den Versteigerungen der enteigneten Besitztümer der Deportierten. "Die Versteigerungen fanden zum Teil in den Wohnungen der Opfer statt", erzählt Linde Apel. "Es war klar, dass auf ein Schnäppchen hofften. Wir zeigen auch Versteigerungslisten, die wir nicht anonymisiert haben. Wer für zehn Bände Goethe wie viel bezahlt hat, lässt sich da nachlesen."

Während die Deportationslisten komplett vorhanden sind mit Namen, Adressen, Geburtsdaten und Berufen der Opfer, fehlen der Historikerin Apel andere Dokumente, die sie mithilfe dieser Austellung zu finden hofft. "Wir suchen Fotos von den Deportationen und bitten Besucher, uns dabei zu helfen." Hilfreich wären auch Gegenstände, die zweifelsfrei aus jüdischem Besitz stammen. Oder vielleicht sogar letzte Augenzeugen, die den Hannoverschen Bahnhof gut kannten. Doch das ist mehr Wunschdenken, denn Linde Apel weiß: "Wir sind sehr spät dran."


"In den Tod geschickt: Die Deportationen von Juden, Roma und Sinti aus Hamburg 1940 bis 1945", Kunsthaus Hamburg, Klosterwall 15; Di-So 11-18 Uhr, Eintritt 4 Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei; www.deportationsausstellung.hamburg.de