Musikkenner schreiben exklusiv im Abendblatt. Heute: der renommierte Geiger Daniel Hope.

Mendelssohns himmlische Musik begleitet mich seit frühester Kindheit. Seine geradezu unerschöpfliche Energie, die Vielfalt seiner Emotionen und seine unglaublich schönen Melodien sind für mich einzigartig. Als Musiker, Dirigent, Konzertveranstalter und Entdecker vieler Werke Bachs und Schuberts und als musikalische Persönlichkeit war er seiner Zeit weit voraus. Dass er zudem auch noch in Hamburg, einer Stadt, zu der ich eine sehr enge Beziehung habe, geboren wurde, finde ich besonders schön!

Meine "Begegnung" mit Mendelssohns Musik war allerdings nicht immer einfach. Mit acht Jahren, im Musikinternat in England, vertraute ich meinem Zimmergenossen Ikki an, dass ich, lieber als alles andere, das Mendelssohn-Violinkonzert spielen würde. Yehudi Menuhin hatte mit sieben Beethoven gespielt, ich würde Mendelssohn meistern - dachte ich mir. Ich musste nur einen Ort finden, wo ich üben konnte, ohne entdeckt zu werden, denn ich wusste nur zu gut, dass meine Lehrer ganz und gar nicht einverstanden sein würden, wenn ich ein Stück spielte, das viel zu schwierig für mich war. Das Badezimmer auf dem Gang, dass Ikki und ich uns mit vier zehnjährigen Mädchen teilen mussten, schien mir der am besten geeignete Platz. Ich dachte an meinen Konzertbesuch in London vier Jahre zuvor, an Pinchas Zukermans atemberaubenden Einsatz, und versuchte, es ihm gleichzutun. Ich kam kaum über die erste Seite hinaus. Es muss geklungen haben, als stranguliere jemand mehrere Katzen gleichzeitig. Aber es war ein Akt der Befreiung, ich fühlte mich wie ein Vollblutmusiker. Ich war ganz und gar durchdrungen von der Musik, dieser wunderbaren e-Moll-Melodie am Anfang, als ich plötzlich erstarrte. Es hatte geklopft. "Würdest du bitte die Tür öffnen", hörte ich die Stimme der Hausmutter mit ihrem dicken irischen Akzent. "Was um alles in der Welt fällt dir ein", fuhr sie mich an. "Komm sofort da raus!" Sie zerrte mich am Ohr und schnappte sich den Notenständer, den ich in die Badewanne gestellt hatte. Draußen hatten sich meine Mitschüler versammelt, manche wunderten sich, andere lachten schadenfroh. "Das hat ein Nachspiel", sagte sie noch.

Einige Tage später wurde ich in das Zimmer des Musikdirektors gerufen und sah dort meine Eltern. Ich war so froh, sie zu sehen, gleichzeitig wunderte ich mich aber, dass sie da waren. "Mr. und Mrs. Hope", begann der Direktor, "ich habe Sie aus London hierher geholt, weil ich Ihnen leider mitteilen muss, dass Ihr Sohn ... ohne Erlaubnis ... das Mendessohn-Konzert geübt hat. Er wurde ertappt - im Badezimmer. Er soll Bach üben, nicht Mendelssohn! Wir haben ihm das wieder und wieder gesagt. Aber scheinbar hat er nichts Besseres zu tun, als das Kollegium und die Schüler mit seinem störrischen Wesen zu provozieren."

Zwei Wochen später verließ ich der Internat für immer und wechselte nebenbei auch meinen Geigenlehrer. Das erste Stück, das ich mit meinem neuen Lehrer erarbeitete, war natürlich das Mendelssohn-Violinkonzert. Seitdem ist es mein ständiger Begleiter, aber jetzt bin ich in der glücklichen Lage, es jederzeit spielen zu dürfen - wann und vor allem wo immer ich will!


Heute spielt Daniel Hope in The Anglican Church of St. Thomas Becket am Zeughausmarkt Kammermusik (ab 18 Uhr, live auf NDR-Kultur). Er ist außerdem heute Komoderator auf NDR Kultur (9-13 Uhr).