Auch Grenzüberschreitungen brauchen einen festen Rahmen. Dann darf Satire (fast) alles. Auch hierzulande. Denn: Den deutschen Humor gibt es gar nicht.

Hamburg. "Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel." Es ist eine Weile her, dass Kurt Tucholsky diesen Satz gesagt hat. Und seither ist fraglos Unverzeihliches passiert, weshalb seine - ebenfalls 1919 gestellte - Frage "Was darf Satire?" sicher nicht mehr so uneingeschränkt wie damals mit "Alles" beantwortet werden kann. Und trotzdem klingt seine Einschätzung aktuell wie lange nicht.

Im Zweifel nämlich, so scheint es, lacht der Deutsche lieber innerlich. Und höchstens so lange, bis sein schlechtes Gewissen darüber ihn zum Fernsehrat treibt wie andere Sünder zur Beichte. Jüngstes Beispiel: Oliver Pochers Stauffenberg-Cruise-Parodie in Wehrmachtsjacke und mit Augenklappe, dazu der (verfremdete) ZDF-Werbespruch als Anspielung: "Mit dem Ersten sieht man besser." Mit dem Ersten, geht es nach empörten SWR-Verantwortlichen, soll Pocher nun möglichst gar nichts mehr zu tun haben. Eine verbale Entgleisung, ein Grenzübertritt zu viel, heißt es. Reflexartig.

Deutschland, ein Volk der Handbremsenzieher und Zwerchfellzähmer? "Das ist kein rechter Mann und kein rechter Stand, der nicht einen ordentlichen Puff vertragen kann", urteilte Tucholsky. Nur - wo "ein ordentlicher Puff" zur Geschmacklosigkeit wird, eben darüber streiten sich die Geister.

Dabei beweist nicht zuletzt der deutsche Party-Allgemeinplatz die hiesige Sehnsucht nach Grenzüberschreitungen und Gelassenheit: das Bekenntnis zum britischen Humor. Ein Smalltalk-Selbstläufer. So "schwarz"! So "böse"! Und so ausgelutscht wie die ebenso partykompatible Steigerung: der skandinavische Humor. So "schwarz"! So "böse"! Und so unverfänglich. Oder traut sich etwa jemand, sich neben der mit Eiswürfeln und Bierknollen gefüllten WG-Wanne als Fips-Asmussen-Fan zu outen? Dabei weiß Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger, der unter anderem an der Hamburg Media School lehrt: " Den deutschen Humor gibt es gar nicht. Die Bandbreite ist riesengroß. Andererseits sind sich die Witze - etwa im Vergleich zu England - in hohem Maße ähnlich. Der Hauptunterschied ist: Im Deutschen bedarf Humor einer situativen Rahmung." Genau hier könnte Pochers Fauxpas liegen, glaubt Hallenberger: "Nur herumstehen und sich darauf verlassen, dass die Assoziationen schon irgendwie zünden, ganz ohne einbindende Story - das reicht nicht. Dazu kommt: Da schwingen Nationalsozialismus, Widerstand, Tom Cruise, Scientology mit - für die eigentliche Pointe aber braucht er nur die Augenklappe."

Deutscher Humor ist also gar nicht so humorlos wie sein Ruf. Er darf (fast) alles - bloß nicht immer und nicht überall. Vor der Grenzüberschreitung muss die Grenze definiert sein, der Rahmen deutlich. Dann darf auch deutscher Humor durchaus gnadenlos sein, wie das Cover der Januar-Ausgabe der Satirezeitschrift "Titanic" zum Thema Finanzkrise beweist: Es zeigt Hitler. "Alles liquidieren", haben sie darunter geschrieben. Böse! Aber eben auch: Deutscher Humor. Schwarzer Humor. Ordentlich eingezäunt in den Rahmen des Satiremagazins. Die situative Grenze ist der Jägerzaun der deutschen Lachbereitschaft.

"Ein Deutscher lacht nicht ohne Grund", hat ausgerechnet Hugo Egon Balder einmal formuliert, der kaum unter Intellektuellen-Verdacht stehen dürfte und mit Humor im Fernsehen so erfolgreich wie vergleichsweise zahm sein Geld verdient. Und übrigens nicht nur hierzulande. Balders Konzept "Genial daneben" läuft schon in so vielen Ländern, dass ihm auf Nachfrage nicht einmal die genaue Zahl einfällt. Längst ist Humor größtmöglich globalisiert - schon weil die Sender ihn international verkaufen. Und dass Komik gerade auf dem Bildschirm nicht selten durch Lächerlichkeit ersetzt wird, haben ebenfalls viele Fernsehnationen gemein, wie nicht nur hierzulande das Dschungelcamp wieder eindrucksvoll bewiesen hat. (Bis sich dann Mama Siegel in der "Bunten" zu Wort gemeldet und ihre Tochter Giulia allen Ernstes als ideale Nachfolgerin von Thomas Gottschalk angepriesen hat, weil sie doch blond und mehrsprachig sei. Ja, auch die Lächerlichkeit erreicht zuweilen einen Grad, der definitiv komisch ist.)

Und schließlich: Ohne all ihre Zumutungen gäbe es eine der lustigsten Errungenschaften der deutschen Fernsehlandschaft nicht: die Parodie-Reihe "Switch Reloaded", die vor allem von den Geschmacksverirrungen der TV-Niederungen lebt. In ihren besten Momenten (Michael Kessler, dem das Kunststück gelingt, gleichzeitig Adolf Hitler, die Serie "Stromberg" und den Schauspieler Christoph Maria Herbst meisterhaft zu persiflieren) ist diese Zweitverwertungscomedy so irrsinnig gut, dass man versucht ist zu behaupten, dadurch habe sich auch jede noch so dämliche Vorlage eine Existenzberechtigung erworben. Einschließlich Florian Silbereisen. Dessen Fernsehunterhaltung immerhin ebenso als Volksverdummung wahrgenommen wird wie Kot schnüffelnde Tierpfleger bei "Wetten, dass ..?" oder Känguru-Hoden futternde Ex-Promis auf RTL. Bloß nicht zwangsläufig von derselben Zielgruppe.

Was man daraus über den deutschen Humor lernen kann? "Wir sollten nicht so kleinlich sein", fand Tucholsky. "Es wehte bei uns im öffentlichen Leben ein reinerer Wind, wenn nicht alle übel nähmen." Fernsehnation, entspann dich.