Der Eurovision Song Contest (ESC) am Kaspischen Meer in Baku geht in die Schlusswoche. Das erste Halbfinale ist an diesem Dienstag.
Baku. Vor dem ersten Halbfinale beim Eurovision Song Contest (ESC) im autoritär regierten Aserbaidschan sind in Baku mindestens 41 Regierungsgegner festgenommen worden. Einem Bericht des Internetportals „contact.az“ zufolge wurden die Aktivisten von der Polizei verprügelt und 60 Kilometer entfernt ausgesetzt. Erst am Vorabend hatten aserbaidschanische Musiker mit einem Konzert gegen Menschenrechtsverstöße in ihrem Land protestiert.
Bei dem Konzert des Bürgerrechtsprojekts „Sing for Democracy“ (Singen für Demokratie) traten mehrere Bands in dem Lokal Marshalls im Stadtzentrum auf. Unter den einigen Dutzend Gästen waren auch der deutsche Botschafter Herbert Quelle sowie Vertreter der deutschen ESC-Delegation.
In Baku kam es am Montag an mehreren Stellen zu Protesten. Sicherheitskräfte gingen massiv gegen mehrere hundert Regierungsgegner vor, die bei einem nicht genehmigten Marsch durch das Stadtzentrum „Freiheit“ und „keine Korruption“ forderten. Bei einem weiteren Polizeieinsatz sei eine Frau gestürzt und habe das Bewusstsein verloren, berichtete „contact.az“.
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Die prominente Bürgerrechtlerin Lejla Junus sagte am Rande von „Sing for Democracy“ am Sonntagabend: „Der ESC ist für die Mehrheit der Bürger in Aserbaidschan kein Glück.“ Junus warf Präsident Ilcham Alijew Methoden eines „mafiösen Clans“ vor.
„Unser Star für Baku“, Roman Lob (21, „Standing Still“), besuchte unterdessen – nach einer Partynacht – einen früheren Feuertempel rund 30 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. 18 ESC-Teilnehmer bereiteten sich derweil auf das erste Halbfinale an diesem Dienstag (21.00 Uhr) vor und fieberten ihrem möglichen Einzug ins Große Finale am 26. Mai entgegen, das für mehr als 100 Millionen Fernsehzuschauer weltweit übertragen werden soll. Von den insgesamt 42 Teilnehmerstaaten stehen am Ende 26 im Finale.
Als heiße Anwärter für den Einzug ins Finale gelten die stimmgewaltige Rona Nishliu mit ihrer Ballade „Suus“ für Albanien und sechs skurrile Omis aus dem russischen Dorf Buranowo. Die Buranowskije Babuschki mit der Ethno-Pop-Nummer „Party for Everybody“ werden hoch gehandelt. Die Omas zwischen 43 bis 76 Jahren mit ihren Bastschuhen, dicken leuchtenden Trachtenkostümen und Kopftüchern der Wolga-Region Udmurtien sind längst Publikumslieblinge.
Nicht weniger schrill tritt die österreichische Combo Trackshittaz mit der Gaudinummer „Woki mit deim Popo“ auf. Zum zweiten Mal hintereinander wollen auch die Jedward-Zwillinge aus Irland den Sprung in die Samstagshow schaffen – diesmal mit ihrem Gute-Laune-Hit „Waterline“. Und auch der deutsche Dauer-ESC-Gast Ralph Siegel, der am Sonntag seine Fans in Baku zu einer Party eingeladen hatte, hofft auf einen Einzug ins Finale. Sein Lied „The Social Network Song“ singt Valentina Monetta für San Marino.
Ihren ersten großen öffentlichen Auftritt in der von Deutschen gebauten neuen Crystal Hall am Meeresufer haben an diesem Dienstag außerdem die ESC-Teilnehmer aus den EU-Staaten Rumänien, Lettland, Ungarn, Griechenland, Zypern, Finnland, Dänemark und Belgien. Im Rennen sind zudem die Schweiz, Israel, Moldau, Montenegro und Island.
Doch auch das üppige Showprogramm konnte die Kritik von Menschenrechtlern an der autoritären aserbaidschanischen Führung nicht übertönen. Senioren seien die Renten gekürzt worden mit der Begründung, es werde mehr Geld für die Eurovision gebraucht, sagte Junus. Dutzende Menschen seien unter Polizeigewalt zwangsenteignet worden, um Platz für Neubauten für den ESC zu schaffen. Und Schuldirektoren würden als Staatsbedienstete etwa gezwungen, Tickets für die ESC-Show zu kaufen, um den Absatz anzukurbeln. Aserbaidschan steht international unter anderem wegen der Unterdrückung der Opposition und Einschränkungen bei der Presse- und Meinungsfreiheit in der Kritik.
Der Hip-Hopper Thomas D von den Fantastischen Vier sprach sich in Baku gegen eine zwanghafte Politisierung des Wettbewerbs aus. „Wenn nicht der Künstler selber sagt, ich bin ein politischer Musiker, dann soll er auch nicht zum Instrument werden der Politik“, sagte der 43-Jährige der Nachrichtenagentur dpa in der aserbaidschanischen Hauptstadt. „Musik ist viel mehr. Auch die Kunst ist frei – und das muss sie bleiben.“ Thomas D war Jurypräsident bei der deutschen Vorentscheidungsshow „Unser Star für Baku“ und begleitet Roman Lob, der mit seiner Ballade auf Startnummer 20 antritt.