Pianist Fazil Say und Geigerin Patricia Kopatchinskaja starten das Minifestival mit feinen Zwischentönen, die mitten ins Herz treffen.
Hamburg. Musik ist flüchtig; im Moment ihres Erklingens ist sie schon vorbei. Dieses physikalische Gesetz gerät bei uns, die wir jede Erinnerung treulich digital einwecken, gerne in Vergessenheit. Aber wer bei der Eröffnung des Minifestivals Türkische Nächte rund um den Pianisten und Komponisten Fazil Say dabei war, den traf diese Flüchtigkeit mitten ins Herz. Denn Say und seine Muse Patricia Kopatchinskaja zeigten sich in der Laeiszhalle als Künstler, die ebendiesem Augenblick kompromisslos verpflichtet sind.
Ibrahim Yazici am Dirigentenpult des Luzerner Sinfonieorchesters fügte sich mit Ballettschrittchen und bauchtanzreifem Hüftschwung optisch gut ins Motto ein und richtete musikalisch nicht allzu viel Schaden an, zumal sich das Orchester wenig von ihm beeindrucken ließ. Die Musiker spielten ihren Stiefel. Und der klingelte und rasselte ordentlich, sowohl bei der einleitenden Rhapsodie "Köcekce" (1943) von Ulvi Cemal Erkin als auch bei der Ouvertüre zu Mozarts orientverliebtem Singspiel "Die Entführung aus dem Serail".
So mag Hänschen sich die Türkei vorstellen. Dass es aber auch eine Menge feiner Zwischentöne gibt - und sich auch ein Sinfonieorchester dynamisch unterhalb des Mezzoforte bewegen kann - das zeigten die Beteiligten bei Says Violinkonzert "1001 Nights in the Harem", das er Kopatchinskaja gewidmet hat. Die Solistin tanzte förmlich; sie hauchte und zwitscherte und verwandelte ihr Instrument in ein ganzes Arsenal orientalischer Instrumente, einfühlsam begleitet vom Orchester, das mühelos zwischen tonalen und harmonisch freien Passagen changierte.
Say griff tief in den Klangfarbtopf, um aus Camille Saint-Saëns' Zweitem Klavierkonzert ein fröhliches Panoptikum an Charakteren hervorzuzaubern. Wer ein so anrührendes Gespür für Zeit hat, dem verzeiht man gerne, wenn nicht jedes Arpeggio lupenrein sitzt.
Das interessierte, dank zweisprachiger Werbung zu guten Teilen türkische Publikum wurde zur Nachtsession mit Improvisationen und Lieblingsstücken von Kopatchinskaja, Say und dem Perkussionisten Burhan Öcal noch einmal jünger und türkischer. Öcal entlockte seiner türkischen Trommel eine verblüffende Vielfalt an Klängen. Die drei sprühten nur so vor Witz - und rührten einen im nächsten Moment zu Tränen.
Patricia Kopatchinskaja mag keine Aufnahmen. Das Violinkonzert hat sie dennoch eingespielt. Aber was hilft's? Jener Abend, er ist vorbei.
Weitere Konzerte: Türkische Nächte
»Bilder einer Ausstellung« heute, 20.00, Fabrik (S Altona), Barnerstr. 36
Arif Sag & Baba Zula 28.5., 20.00, Fabrik
Mercan Dede & Secret Tribe 29.5., 20.00 Uebel & Gefährlich (U Feldstraße), Feldstr. 66. Karten zu jeweils 20,- unter T. 35 76 66 66, www.elbphilharmonie.de