Wentorf. Rik Reinking vom Wentorfer WAI sammelt seit seiner Jugendzeit Kunst. Das Thema Tod begleitet ihn dabei. Ein Interview.
Die Kreuzigung Jesu ist eine kunsthistorische Darstellung, die einen gefolterten Menschen zeigt. In unserer Kultur ist sie aber gleichzeitig ein Symbol der Verheißung, der Überwindung des Todes. Wie in der christlichen, besonders der mittelalterlichen Kunst ist das Sterben auch in der zeitgenössischen Kunst immer wieder Thema.
Der Sammler Rik Reinking (45) hat in Wentorf an der Golfstraße das Woods Art Institute (WAI) errichtet. Dort zeigt er in Führungen wechselnde Ausstellungen aus seinen Sammlungen sowie von Künstlern, die ihn interessieren. Auch in seiner hochkarätigen Sammlung mit Werken, die man sonst auf der Biennale in Venedig oder in vielen international bekannten Museen bewundern kann, ist der Tod ein auffällig wiederkehrendes Motiv.
Gespräch mit Sammler Rik Reinking über den Tod in der Kunst und im Leben
Installationen von Terence Koh, Werke von Jan Fabre oder Jimmy Durham üben eine seltsame Faszination auf den Betrachter aus: Sie wirken gleichermaßen abstoßend wie fesselnd. Deshalb haben wir uns mit ihm zusammengesetzt und ihn zu seinem Verhältnis zum Tod, und wie sich dieser in seiner Sammlung widerspiegelt, befragt.
Herr Reinking, in der ersten Präsentation Ihrer Sammlung fiel ein immer wiederkehrendes Thema auf: der Tod. Wieso ist er in Ihrer Sammlung so elementar?
Rik Reinking: Ja, das kann sein. Es geht mir aber eher um die An- und Abwesenheit von Körpern, um Energien von Angst und von Schmerz.
Welches Verhältnis haben Sie denn zum Tod, und wie zeigt sich dieses in ihren Sammlungen?
Ich bin zwar gut Freund mit ihm, aber mein Fokus liegt auf dem Leben. Mir ist meine Sterblichkeit jeden Moment meines Alltags bewusst. Mich macht das allerdings frei. Ich lebe mein Leben so, dass ich heute Nachmittag auch tot vom Baum fallen könnte. In der zeitgenössischen Kunstsammlung geht es mehr um Thematiken und Emotionen, die sichtbar gemacht werden. Während dieses in der Sammlung der Artefakte eine andere Qualität hat. Ihnen ist der Tod ja quasi schon zeitlich eingeschrieben. Dabei betrachte ich den Tod aber gar nicht als düster oder dunkel: Es geht vielmehr um Licht und Schatten. Im Leben eines Menschen gibt es doch zwei Gewissheiten: die Geburt und den Tod. In jeder Sekunde unseres Lebens sterben wir. Das hat etwas Schönes. Denn das Wissen darum, dass das Leben irgendwann vorbei ist, hat etwas wahnsinnig Beruhigendes. Gleichzeitig bewirkt es aber die Verpflichtung, unsere Zeit zu nutzen und dann bestenfalls auch unsere Erfahrungen und Einblicke mit anderen Menschen zu teilen.
Schon früh angefangen, sich mit dem Tod in der Kunst zu beschäftigen
Viele Menschen verdrängen die eigentliche Sterblichkeit. Wie hat sich Ihr Verhältnis zu Ihrer eigenen Vergänglichkeit entwickelt?
Ich habe schon früh angefangen, mich mit dem Tod in der Kunst zu beschäftigen. Schon während des Studiums habe ich mich immer an diesem Thema gerieben. Ich habe Jura und Kunstgeschichte studiert. Ich hatte schon immer ein sehr persönliches Verhältnis zur Kunst und auch zu den Künstlern. Das habe ich intensiv gelebt. Ich habe mich viel mit der Kunst auseinandergesetzt und für sie auch auf vieles verzichtet. Wenn ich mich entscheiden musste, ob ich mir eine neue Zeichnung oder einen neuen Anzug zulege, habe ich meist gedacht: ,Ach, der Anzug geht doch noch.’ Beeinflusst vom Deutschen Informel, vom Fluxus, dachte ich lange, ich bin zu spät geboren. ,Hätte ich doch in den 60ern gelebt!’ Doch ein überfallartiger Künstlerbesuch wurde mir dann zum Schlüsselerlebnis: Der klingelte an der Tür und ging schnurstracks einfach an meinen Kühlschrank und nahm sich etwas heraus, weil er die ganze Nacht an einem Bild gearbeitet, und er so einen Hunger hatte. Da wurde mir langsam klar: Eigentlich ist es jetzt noch genauso wie in den 1960ern. Ich muss nur die Perspektive wechseln. Seitdem weiß ich, ich will weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft leben. Wenn man alles auf später verschiebt: Wie frustrierend ist das denn? Ich lebe im Jetzt – natürlich mit der Perspektive auf die Zukunft.
Der Totenkopf ist als Motiv mittlerweile zum Ornament geworden
Aber Sie können auch von der Kunst leben …
Ja, ich habe das Glück, meine Leidenschaft ist inzwischen auch mein Beruf. Ich weiß noch, als ich auf der Suche war und eine Bekannte sagte zu mir: ,Du hast deinen Beruf doch schon, du musst nur langsam anfangen, Geld dafür zu nehmen!’ Ich war schon so verwoben und vernetzt im Kunstmarkt.
Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Ich glaube schon, dass alles miteinander verbunden ist. Da gibt es eine Energie. Aber ein Leben nach dem Tod? (lacht) Nein, ich glaube da schlummert doch auch ein kleiner Naturwissenschaftler in mir. Dass aus meiner Asche ein Apfelbaum wächst, das kann ich mir noch vorstellen.
Hat der zurzeit inflationäre Gebrauch des Symbols Schädel eigentlich einen Einfluss auf Ihre Sammlung?
Interessant. Ob ein mit Strass besticktes T-Shirt oder das Logo des FC St. Pauli – der Schädel scheint tatsächlich seinen Schrecken verloren zu haben. Andererseits gibt es auch diese innere Sehnsucht: Bei den Tätowierungen ist der Schädel ja ein häufiges Motiv. Tätowierungen haben etwas mit unmittelbarem Schmerz zu tun. Es ist eine körperliche Erfahrung, eine körperliche Selbstwahrnehmung. Daraus entsteht eine neue Gemeinschaft. Die dazugehören, erkennen sich untereinander. Das ist fast so wie bei den Iatmul, den Krokodilmännern, die wochenlang Schmerzen erleiden. Oder wie bei unseren Burschenschaften: eine Selbsterfahrung im körperlichen Sinne, die den Menschen im besten Wortsinn zeichnet und dadurch seine Zugehörigkeit für andere erkennbar werden lässt. Aber zurück zum Schädel: Der ist fast zum Ornament verkommen, eine niedliche Form der Provokation geworden. Viele denken nicht darüber nach, dass er ein klassisches Vanitas-Motiv ist, für sie ist er einfach ein „cooles Motiv“. Manchmal ist mir auch seine Verwendung in der Kunst zu platt. Neulich habe ich deshalb eine Arbeit nicht gekauft. Ich habe Werke von Jan Fabre und von Jimmy Durham, bei denen der Totenkopf fast wie ein Totem wirkt. Aber auch ein paar Grabsteine von Terence Koh oder Maurizio Cattelan. Da wo es Sinn macht, taucht also so ein Werk in meiner Sammlung auf. Ich habe jedoch auch viele Werke mit einem ganz anderen Fokus. Die feiern kräftig das Leben.
Kunst in Corona-Zeiten: Man muss vor dem Originalwerk stehen
Wirkt sich die Corona-Pandemie auf Ihre Sammlung aus?
Nein, sie wirkt sich nicht aus. Dieses Virus muss man ernst nehmen, aber man darf keine Angst davor haben. Es geht mir um eine Kunst, die sich generations- und kulturübergreifend mit den Fragen nach Zeit und Raum, nach Vergänglichkeit und Emotionen, nach Identität beschäftigt. Die Kunst gibt mir Orientierung und Bestätigung. Gerne habe ich Besucher, um mit ihnen über die Werke zu diskutieren. Das geht momentan nur nicht. Ich möchte Ausstellungen bieten, die man fühlen kann, die eher Impulse für Gespräche als Antworten geben. Wir spiegeln uns in unserem Gegenüber und bestenfalls auch in der Kunst. Wir können aneinander wachsen, indem wir uns aneinander reiben. Die Kunst ist ein wahnsinnig toller Kommunikator und gibt viel Kraft. Das geht aber nicht über eine Online-Präsentation. Dazu muss man schon vor dem Originalwerk stehen.
Wie muss man sich denn Ihr Zuhause vorstellen? Haben Sie dort nur weiße Wände oder darf dort auch einmal ein Ikea-Poster hängen?
(Die Interviewerin erntet einen fassungslosen Blick, doch Rik Reinking bewahrt die Contenance) Ich lebe auch zu Hause mit meiner Kunst. Auch dort reagieren wir aufeinander. In meinem Bücherregal habe ich zum Beispiel ein „Tödlein“. Das waren kleine Miniatursärge zum Aufklappen, in denen ein kleines Skelett drin liegt. Um das 16. Jahrhundert herum haben die Menschen diese Tödlein als Mahnung an ihre eigene Sterblichkeit sogar auf Reisen mit sich getragen. Der Gedanke ist also nicht neu.
Haben Sie sich schon mit Ihrem eigenen Tod, Ihrem Begräbnis beschäftigt, Herr Reinking?
Noch nie, höchstens im Scherz. Ich glaube, ich möchte verbrannt werden, vielleicht kann man meine Asche hier über der Wiese verstreuen. Einen Grabstein brauche ich bestimmt nicht.