Wentorf. Wentorf. An der Golfstraße nimmt das Kunstzentrum, in dessen Mittelpunkt die Sammlung moderner Kunst von Rik Reinking steht, Formen an.

In der Kunstszene gilt er als der Mann mit dem siebten Sinn für Künstlerstars von morgen. Den schärft Rik Reinking derzeit allerdings weniger zwischen New York, Hamburg und Shanghai. Der Mittelpunkt seines Kunstuniversums liegt seit knapp einem Jahr in Wentorf bei Hamburg. An der idyllischen Golfstraße bot sich die Gelegenheit, ein einzigartiges Anwesen aus dem Eigentum des Landes Schleswig-Holstein erwerben zu können. Dort, wo einst Schüler mit Sprachstörungen lernten und später kurzzeitig Flüchtlinge untergebracht waren, entsteht nun ein Zentrum des kulturellen Austausches, in dessen Mittelpunkt Reinkings Sammlung moderner Kunst stehen wird.

„Woods Art Institute“ (WAI) hat er es genannt. Bewusst nicht Museum, denn der Ort soll von Künstlern, Lehrenden, Studenten und Interessierten belebt werden: „In den ersten Tagen möchte ich hier nur Kinder und Jugendliche sehen.“ Damit wolle er den Kindern einen Wissensvorsprung ermöglichen und sie für die Kunst sensibilisieren. Für die Museumspädagogik steht hierfür bereits eine riesige Druckpresse bereit.

Im Torhaus könnte eine Keramikwerkstatt entstehen, in den Remisen ein Café und in dem langen weißen Haus gleich am Eingang zu der historischen Parkanlage Künstlerateliers. Ein befreundeter Kunsthändler hat hier aktuell schon Ölfarben und Entwürfe ausgebreitet. Wenn alles fertig ist, wird auch ein Schweizer Performancekünstler für eine Sommerakademie mit seinen Studenten einziehen.

Und privat, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, hat sich hier auch schon Terence Koh umgesehen. Der chinesisch-kanadische Performancekünstler wird in der Kunstszene als neuer Andy Warhol gefeiert.

Zwiegespräche am Pool mit Goldfischen

Einige von Kohs Objektinstallationen befinden sich in Reinkings Sammlung. Auch wenn die Kunstwerke aus den Hamburger Magazinen noch nicht in Wentorf angekommen sind. Die Magie des verwunschenen Villengrundstücks und dessen Flora und Fauna haben den 42-Jährigen schon in den Bann gezogen. Abseits des internationalen Kunsttrubels findet er hier Ruhe für Inspiration. Zum Beispiel am verwilderten, mit Gussbeton umrahmten Pool, den längst Goldfische erobert haben.

„Ich füttere die Fische und führe jeden Morgen mit ihnen Zwiegespräche.“ Wenn es um Kunst geht, dann um die An- und Abwesenheit von Energien. Reinking interessieren vor allem die emotionalen Themen. Darauf kommt es ihm an, wenn er Objektkunst, klassische Malerei oder Street-Art ins Auge nimmt.

Auch das ehemalige Schwimmbecken hat ihn inspiriert. So könnte auf dem Podest vor der Einstiegstreppe wieder ein Pavillon stehen. Allerdings nicht bloß im historistischen Stil nachempfunden. „Er sollte vielmehr Geschichte, Natur und Menschen zusammenbringen, am liebsten also von Volker Lang konzipiert, der unter anderem auch schon das Deserteurdenkmal am Dammtor in Form eines Pavillon gebaut hat und der Stadt Hamburg für einige Zeit ,ein Haus für Virginia Woolf’ an die Alster gesetzt hat“, wünscht sich Reinking.

Den Pavillon, von dem nur noch das Fundament erhalten ist, ließ einst ein vermögender belgischer Kaufmann errichten, unweit des Herrenhauses im Tudorstil, in das er Anfang des vergangenen Jahrhunderts einzog.

Parkgestaltung ist ein Langzeitprojekt

Rik Reinking ist in die Geschichte des Anwesens eingetaucht und schwärmt, wenn er durch die Parkanlage unter Silberlinden, Blutbuchen und Goldulmen schreitet: „Das Arboretum fasziniert mich.“ Es strahle Ruhe aus, genauso wie der Wald, in den die Parkanlage übergeht. „Wir legen hier gerade die historischen Achsen und Wegeführungen frei“, damit das Konzept des unter Denkmalschutz stehenden Parks wieder erkennbar wird.

Ein Langzeitprojekt, denn schließlich umfasst das Grundstück mehr als 100 000 Quadratmeter, bestehend aus Wald, Park, Remisen und einem 2500 Quadratmeter großen Schulgebäude, das er gerade für sein Kunstinstitut neu erstrahlen lässt. „Hier wird der Eingang sein“, sagt Reinking. Er steht in einem lichten, modernen Gebäude mit bodentiefen Fenstern. Im puristischen skandinavischen Stil reihen sich die Flure rechteckig aneinander. Die Wände strahlen in angenehmen „Wohlfühlweiß“ auf frischem Schleifputz. Erhellt vom Tageslicht, das durch die aufpolierten Fenster in die Räume fällt.

Altes Schulgebäude ist das Herzstück des Projektes

Das ehemalige Schulgebäude ist für Reinking das Herzstück der Liegenschaft. „Es ist das Mutterschiff. Mein Herz schlägt ganz klar dort. Auch wenn sich um die historische Villa mit Delfter Kamin und portugiesischem Kachelofen auch viele interessante Geschichten ranken.“

Seit Reinking mit 16 Jahren sein erstes Werk in Raten abstotterte, ist der Kontakt zu Künstlern nach und nach gewachsen. Reinking ist Kunstsammler aus Leidenschaft, die bereits auf dem Schulweg geweckt wurde. Der führte ihn vorbei an einem Kinderbuchladen mit einem Ausstellungsraum im Obergeschoss. „Dort bin ich immer wieder hängen geblieben und habe mir mein erstes Kunstwerk, ein Selbstbildnis von Horst Janssen, gekauft.“ Ohne Kunst würde er in der Welt sicher nicht klar kommen, hat er in einem Interview gesagt. Seine Sammlung umfasst heute mehr als 200 Künstler. Beginnend mit Kunst aus den 1960er-Jahren, der Konzeptkunst, der Urban-Art und der Malerei der Gegenwart.

Reinking wurde 2006 von der Initiative der Bundesregierung, „Deutschland – Land der Ideen“, als einer von Deutschlands 100 Köpfen von morgen ausgezeichnet. In der Begründung wird er als Sammler mit einem außergewöhnlichen Blick für Qualität gewürdigt, der eine der spannendsten Sammlungen junger zeitgenössischer Kunst in Europa besitze. Die britische Kunstzeitschrift „Apollo Magazine“ wählte ihn 2014 in die „40 under 40“-Auswahl der talentiertesten europäischen jungen Personen, die die Kunstwelt von heute voran treiben.

Eröffnung voraussichtlich Ende 2019

Wentorfer dürfen sich also auf die Inspiration freuen. Doch bis voraussichtlich Ende 2019 müssen sich Kunstfreunde noch bis zur Eröffnung gedulden. Zur Einstimmung können sie aber wenigstens schon einmal auf die Internetseite www.woodsartinstitute.com klicken.