Bargteheide/Hamburg. Nils Bollenbach ist mit seinem Streifen „Die Ehe meiner Großeltern“ für den Deutschen Generationenfilmpreis nominiert.
Tanze mit mir in den Morgen. Tanze mit mir in das Glück. In deinen Armen zu träumen, ist so schön bei verliebter Musik.“ Anfang der 1960er-Jahren war der Schlager ein oft gespielter Gassenhauer, mit dem Sänger Gerhard Wendland an die Spitze der Charts stürmte. Für Ursula und Hans Bollenbach markierte er den Beginn einer Beziehung, die bis heute Bestand hat. Trotz aller Widrigkeiten des Lebens. Der Mühen des Alltags im Alter. Des Ringens mit Gebrechen. Und der latenten Angst vor Überforderung.
Über all das hat der junge Filmemacher Nils Bollenbach im Oktober vergangenen Jahres einen sehr persönlichen Dokumentarfilm gedreht. „Die Ehe meiner Großeltern“ ist das erste längere Werk des 20 Jahre alten Kunstschaffenden aus Bargteheide. Mit dem knapp 39 Minuten langen Streifen hat er sich für den Deutschen Generationenfilmpreis 2021 beworben. Und es nun sogar auf die Shortlist der Jury geschafft.
Großvater vom Projekt nicht überzeugt
„Für mich ist das Thema des gemeinsam Altwerdens in einer langen Beziehung überaus spannend. Außerdem fand ich, dass meine Großeltern das Potenzial haben, medienwirksam zu agieren“, beschreibt der Enkel seine Intention. Allerdings habe es ihm einige Mühe bereitet, den Großvater von seinem Projekt zu überzeugen.
Hans Bollenbach, wie seine Frau Ursula im thüringischen Jena aufgewachsen, ist ein Familienpatriarch alter Prägung. „Ein regelrechter Pascha, der sich gern bedienen ließ“, sagt Nils Bollenbach. Doch damit sei spätestens 2012 Schluss gewesen. Nach einem Schlaganfall sitzt Ursula Bollenbach im Rollstuhl und ist nun permanent auf Hilfe angewiesen. „Das hat ihr gesamtes Leben grundlegend und nachhaltig verändert“, so der Filmemacher.
Beim Kochen ist das Wasser angebrannt
Zwar steht dem Paar, das seit 30 Jahren in einer kleinen Wohnung in Hamburg-Barmbek wohnt, seit vielen Jahren die Altenpflegerin Beate Lynsche zur Seite. Dennoch musste sich Hans Bollenbach in viele Tätigkeiten einfinden, die ihm früher fremd waren. Er lernte zu kochen, führt seitdem den Haushalt, wäscht die Wäsche, hilft seiner Frau bei der Körperpflege, erledigt die Einkäufe.
„Mir ist beim Kochen sogar das Wasser angebrannt. Schließlich war ich doch für höhere Aufgaben vorgesehen“, witzelt er in einer Szene, habe sich dann aber in sein Schicksal gefügt. „Das hat für ihn eine enorme Umstellung bedeutet, was im Alter natürlich umso schwieriger ist“, sagt Lynsche. Hans Bollenbach fehle oft der praktische Sinn, sagt sie. Etwa, warum Wäsche vor dem Waschen getrennt werden sollte.
Bei Pflege der Ehefrau an Grenzen gestoßen
Vor allem bei der Pflege seiner Frau und der Konfrontation mit dem körperlichen Verfall gerate der 79-Jährige oft an seine Grenzen. Dann erscheine er zuweilen ungehalten, manchmal sogar lieblos und laut. „Für Hans hat das Älterwerden oft keine Qualität“, findet Beate Lynsche. In bestimmten Situationen offenbare er regelrecht „depressive Züge“. Das bestätigt Hans Bollenbach in nachgerade brutaler Offenheit. Ja, vieles sei für ihn nur schwer zu verkraften. Er führe ein Leben „zwischen jauchzet frohlocket“ und „dem Strick im Keller“.
Ursula Bollenbach hat gelernt, mit den Gemütsschwankungen ihres Mannes zu leben. „Ja, er kann sehr aufbrausend und jähzornig sein. Aber er ist andererseits auch zuverlässig und treu“, sagt sie. Oft wachse er regelrecht über sich hinaus und lese ihr jeden Wunsch von den Lippen ab. „Ich habe ihn mir doch ausgesucht. Ein Romantiker war er nie. Dennoch bin ich zufrieden und will gar keinen anderen haben“, erklärt Ursula Bollenbach, die am vergangenen Montag 80 Jahre alt geworden ist.
Liebe der beiden lebt in „versteckten Botschaften“
Für Beate Lynsche lebt die Liebe der beiden grundverschiedenen Charaktere in „versteckten Botschaften“ und humorvollen Dialogen. Etwa wenn sie berichten, wie sie sich kennengelernt haben. Er, ein guter Tänzer und begehrter Partner auf dem Parkett. Sie „ziemlich verkorkst und erzkonservativ erzogen“, die seinerzeit „Küssen noch für Geschlechtsverkehr“ gehalten habe.
„Meine Mutter wollte lieber, dass ich mit ihrer besten Freundin gehe“, berichtet Hans. „Dennoch habe ich dich erobert“, kontert Ursula. „Und das obwohl mir eine feste Verbindung eher suspekt war. Letztlich bin ich geheiratet worden“, verkündet Hans. Der sein Versprechen dann ein Leben lang gehalten habe.
Dialoge von Lessing und Hauptmann eingestreut
Die Rolle der Religion und die Schwierigkeit zueinander finden zu können, hat Nils Bollenbach auch in zwei eingestreuten Spielszenen thematisiert. Kostümiert, geschminkt und mit Perücken ausstaffiert, sprechen er und seine Großmutter zwei Dialoge aus Lessings „Emilia Galotti“ und Wedekinds „Frühlingserwachen“. Eine Aufgabe, die Ursula Bollenbach bravourös gemeistert hat.
„Die Ehe meiner Großeltern“ ist ein leiser, kluger Film mit vielen Zwischentönen. Nils Bollenbach begibt sich zumeist in die Rolle des stillen Beobachters. Er lässt stattdessen seine Hauptprotagonisten erzählen, berichten – auch mal streiten. Das macht den Streifen so authentisch, spannend und sehenswert.
Im September 55 Jahre lang verheiratet
Während Ursula Bollenbach, die früher gern selbst Schauspielerin geworden wäre, mit dem Film hochzufrieden ist, hat ihn sich Hans Bollenbach bislang nicht angesehen. Dennoch freut er sich nach eigenem Bekunden auf den 24. September dieses Jahres. Dann sind er und seine Frau 55 Jahre verheiratet.
Info 1: Der Filmemacher
Nils Bollenbach (20) hat 2020 am Gymnasium Eckhorst in Bargteheide sein Abitur absolviert. Seit 2018 engagiert er sich im Ortsvorstand der Grünen und wurde ein Jahr später auch in den Kreisvorstand der Partei berufen. Im Mai wurde er zum Direktkandidaten für die kommende Bundestagswahl im Kreis Segeberg/Stormarn Mitte gewählt. 2018 gründete er die Ortsgruppe der Initiative Fridays for Future und ist auch deren Sprecher. Der Schauspieler und Filmemacher ist homosexuell und gehörte zu den Mitbegründern des queeren Netzwerks Stormarn. Bollenbach ist durch das Asperger-Syndrom gehandicapt, einer Form des Autismus.
Info 2: Der Filmwettbewerb
Der Deutsche Generationenfilmpreis wurde 1997 vom Deutschen Kinder- und Jugendfilmzentrum und dem Bundesfamilienministerium aus der Taufe gehoben. Er gilt als einzigartige Plattform für Filmemacher bis 25 und ab 50 Jahren. Trotz der Corona-Beschränkungen sind 165 Filme eingereicht worden. Der Preis teilt sich in diesem Jahr in einen offenen Bereich mit freier Themenwahl und Beiträge zum Jahresthema „Über Arbeit“. Die nominierten Filme können ab 12. Juni auf der Homepage des Preises gestreamt werden. Die Preisverleihung erfolgt dann am 19. Juni im Rahmen des Bundes.Festival.Film. Die Hauptpreise sind mit je 1000 Euro dotiert.