Hamburg. Hamburgs Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi im Gespräch. Heute über die politische Situation in den USA.

Matthias Iken: Am Mittwoch wird Joe Biden ins Amt eingeführt. Trumps Anhänger rufen zu einem Marsch nach Washington auf. Fürchten Sie neue Gewalt?

Klaus von Dohnanyi: Die Ausschreitungen in Washington waren zu erwarten, man kannte diese Leute ja von den Wahlversammlungen Trumps. Aufstachelnder Worte von ihm hätte es gar nicht mehr bedurft! Überraschend war für mich das Versagen der Polizei. Präsident Bidens Amtseinführung wird nun wahrscheinlich ungestörter verlaufen, aber nicht im Lande. Amerika ist historisch eine gewalttätige Nation; das generelle Recht, auch privat Waffen zu tragen, ist nicht zufällig heilig. Da kommt noch einiges auf uns zu.

Iken: Wie kommt es, dass Teile der Republikaner das System infrage stellen?

Dohnanyi: Es geht um einen tiefgreifenden Richtungsstreit. Man sollte Trumps Rede bei seiner Amtseinführung 2017 sorgfältig lesen: Auf der einen Seite sind die städtischen und gut ausgebildeten Eliten, für die Globalisierung und liberale Werte zu größeren Chancen und immer höheren Einkommen geführt haben – auf der anderen Seite stehen die Arbeitnehmer der klassischen Industrien, deren Jobs nach China, Indien oder sogar Europa abgewandert sind. Da progressive Mitglieder der Demokratischen Partei längst den linken Sozialflügel besetzt hatten, griffen die Republikaner nach der „rechten“ populistischen Variante: soziale Versprechungen plus Nationalismus. Das weckt bei uns üble Erinnerungen. Die Unterscheidung rechts/links ist eben nicht mehr so einfach. In der Grand Old Party begann diese Entwicklung allerdings schon lange vor Trump.

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Iken: 73,6 Millionen Menschen haben Trump gewählt – mehr als Obama bei seinen Wahlsiegen erreicht hat ...

Dohnanyi: Das hat mehrere Gründe. Einmal führte der große Streit um Trump zu einen hohen Wahlbeteiligung. Und die soziale Spaltung ist so tief, dass ein Mann wie Trump zum Hoffnungsträger der Benachteiligten werden und ihre Stimmen mobilisieren konnte. Ein reiches Land, das nicht jedem Fleißigen eine angemessene Gesundheitsfürsorge, eine erschwingliche Ausbildung oder eine bezahlbare Wohnung bieten kann, kann in der modernen Welt so auch keinen Bestand haben!